EIN STIMMIGES PORTRÄT

Fast jeder hat es schon einmal getan: Einen anderen Menschen als Porträt aufgenommen. „Porträt“ meint eigentlich nur die Darstellung eines Menschen, wird aber im alltäglichen Sprachgebrauch auch für einen kleinen Bildausschnitt der Menschendarstellung verwendet: Ein Schnitt, der etwa vom Brust- oder Schulterbereich bis zur Stirn oder zum Kopfende reicht.

Ein stimmiges Porträt

Ein schönes Porträt – wer diese Disziplin beherrscht, findet im Freundeskreis sicher willige „Opfer“. Wollen Sie tiefer in die Porträt- und Beautyfotografie einsteigen, sind Sie auf Foren wie der Model-Kartei oder der Fotocommunity gut aufgehoben.

 

BILDAUFBAU
Die diagonale Linienführung – ein ungewöhnlicher Aufbau für ein Porträt – verleiht dem Bild Dynamik und macht es interessant. Die dominante Linie reicht von knapp oberhalb des Ellenbogens über den kleinen Finger und den Nasenschatten bis zum Haaransatz. Eine zweite dominante Linie entsteht durch die senkrecht fallenden, glatten Haare. So ergibt sich ein Dreieck. Diese Linienführung hätte noch stärker herausgearbeitet werden können, etwa wenn die Kleidung des Models der Haarfarbe entsprochen hätte. Sie zeigt aber auch so bereits, dass nicht jedes klassische Studioporträt gleich aufgebaut sein muss, dass auch diese Disziplin variationsreich sein kann.

FARBEN
Mit einem schwarzen Shirt und einer weißen Jacke oder ähnlichem sind ganz typische Kleidungsfarben gewählt. Man könnte annehmen, dies sei nichts Besonderes und folglich nichts, das den Blick vom Gesicht des Models wegziehen, mit ihm visuell in Konkurrenz treten würde. Allerdings bilden die Farben Schwarz und Weiß nebeneinander gezeigt den größtmöglichen Kontrast. Dies zieht Aufmerksamkeit auf sich. Die Rechnung „gewöhnliche Farben, keine Aufmerksamkeit“ geht also nicht immer auf. Hier wäre es empfehlenswert gewesen, nur eine der beiden Farben zu nutzen, um den Akzent auf dem Gesicht der Frau zu belassen. Noch besser: Eine Farbe mittlerer Helligkeit und geringer Sättigung tritt noch mehr in den Hintergrund und lässt das Gesicht stärker wirken. Sehr harmonisch erscheint es auch, wenn die Augen- oder Haarfarbe in der Farbe des Outfits wieder aufgegriffen wird.

POSING
Das Model zeigt sich im Halbprofil, einer für viele Gesichter sehr vorteilhaften Richtung. Einige Details könnten allerdings verbessert werden: Der abgeknickte kleine Finger wirkt arg dominant – er wäre besser bei den anderen Fingern geblieben. Der Oberarm ist deutlich an den Körper gedrückt, was ihn zu breit erscheinen lässt. Die Haare aufgrund des abgewinkelten Kopfes frei fallen zu lassen stellt an sich eine originelle Idee dar, allerdings hätte eine Hairstylistin oder ein weiteres Augenpaar dafür sorgen können, dass sie oben am Kopf einen schöneren Schwung erhalten und nach unten nicht zu strähnig erscheinen. In der bearbeiteten Variante wurden diese Details ein wenig verbessert.

LICHTSETZUNG
Ein schönes Gesicht kann nichts entstellen – in diesem Fall auch nicht die Lichtsetzung, die aber bei so manch anderem Gesicht als unvorteilhaft auffallen würde. Das Licht kommt von unten und führt zu einer hellen Nasenunterseite, geringen Schattierungen der Wangen und – nicht in unserem Fall, aber sonst häufig – zu seltsamen Augenringen. Die Lichtsetzung ist in diesem Fall nicht einer völlig falschen Lichthöhe geschuldet, sondern der gekippten Haltung des Kopfes: Hätte das Model ihn in die andere Richtung gekippt, hätte die Lichtsetzung deutlich besser funktioniert. Wie schon erwähnt, fällt die falsche Lichtsetzung bei diesem Model jedoch kaum ins Gewicht und lässt sich in der Bildbearbeitung noch so weit wie nötig korrigieren: Mittels Dogde and Burn wird die Nasenoberseite aufgehellt. Außerdem werden Wangenschatten hinzugefügt und auch der Oberarm erhält mehr Schattierung. Dieses Bildbeispiel demonstriert, dass man auch mal gegen die Regeln verstoßen darf: Um mehr Abwechslung in Ihre Bilder zu bringen, können Sie also bei einem geeigneten Gesicht und richtiger Bearbeitung durchaus auch einmal „falsches“ Licht verwenden.

BEARBEITUNG
Die Technik des Dodge and Burn half dabei, die ungünstige Lichtsetzung weniger auffällig zu gestalten. Der Oberarm und die Frisur wurden ein wenig „in Form“ verflüssigt. Die Augen erfuhren eine leichte Aufhellung, um sie noch strahlender zu machen. Eine leichte Kontrastverstärkung rundete diese möglichst natürliche Bearbeitung ab. In einem weiteren Schritt folgte eine Schwarz-Weiß-Konvertierung. Hierfür kam der Filter der Nik Silver Efex Pro 2 „Hohe Struktur weich“ zum Einsatz, der Kontrast wurde im Anschluss noch ein wenig verstärkt. Die Haare wirken dadurch so dunkel, dass sie mit dem Schwarz des Shirts korrespondieren, die Augen so hell, dass sie dem Weiß der Jacke ähneln. Der Kontrast der Kleidungsstücke wirkt damit integrierter, das Bild harmonischer und künstlerischer.