Lust auf mehr
Rankins Fotos der letzten 20 Jahre sind überraschend (und) ehrlich.
Autor: Dagmar Schellhas-Pelzer
Ein Werk wie Rankins „MORE – A Retrospective“ dient in erster Linie der Unterhaltung. Das im teNeues Verlag erschienene Buch nimmt der Leser einfach in die Hand und blättert es durch, ohne unbedingt direkt das Vorwort oder das Interview mit dem englischen Fotografen zu lesen. Es geht einfach um coole Fotos – von David Bowie, Blondie, Cate Blanchett, Jude Law, den Rolling Stones und vielen mehr.
Doch dann fragt sich der Leser, der vielleicht selbst gerne fotografiert, „Was macht eigentlich diese Fotos so besonders?“ Und: „Was hat Rankin, was andere Fotografen nicht haben?“
Begegnungen
Natürlich könnte er nun das Vorwort von William Boyd, einem schottischen Schriftsteller und Regisseur durchlesen, der selbst schon von Rankin porträtiert wurde. Sicherlich gibt es in seinem Erfahrungsbericht eine Antwort. Aber es ist auch sehr spannend, sich selbst einmal auf die Suche nach eigenen Antworten zu begeben. Durch weiteres Durchblättern, durch das Studium intensiver Aufnahmen von Gesichtern. Gesichtern von prominenten Persönlichkeiten, die dennoch tiefe Falten haben dürfen, große Poren und wenig strahlend weiße Zähne, wie bei Daniel Craig,
Gillian Anderson und Robert Downey Jr.. Frauen können wunderschön und glamourös sein – aber sie müssen nicht. Sie dürfen auch mit der Kamera spielen wie die immer hübsche Sienna Miller oder Grimassen schneiden, lachen und provozieren wie die zauberhafte Eva Green. Allmählich dämmert dem Betrachter, dass Ikonen hier von ihrem Sockel herunter geholt werden und „echte Menschen“ sein dürfen. Ja sogar sein müssen, damit nicht nur tolle Fotos zum Anschauen entstehen, sondern „richtige Begegnungen“. Das unterscheidet mit Sicherheit die Fotos von Rankin von den immer gegenwärtigen glatten Fassaden, die einem von jedem Werbe- und Kinoplakat entgegenlächeln.
Im Interview mit Michael Holden, einem bekannten TV- und Fernsehjournalisten, erklärt der mit bürgerlichem Namen getaufte John Rankin Waddell seine innere Haltung beim Umgang mit Berühmtheiten: „Ich glaube, meine Bilder sind Anti-Berühmtheiten. Sie sollen vom Sockel heruntergebracht und auf dieselbe Ebene (wie der Betrachter, die Red.) gestellt werden. Das habe ich von meinem Vater – man muss Leute immer gleich behandeln. Wenn man sich die Arbeit anschaut, sieht man, dass sie ausgleichend ist.“ Ein besonders schönes Beispiel zu diesem Ansatz stellt das einmalig sympathische Foto der Queen Elisabeth II. dar, die einen für ihre Verhältnisse fast herzlich anlacht und „eine von uns“ sein könnte – ein sehr sehenswertes Bild.
Kreativität siegt
Neben seinen berühmten Porträts fotografiert Rankin Werbekampagnen und Modestrecken, wovon sich einige Auszüge am Ende der Retrospektive MORE finden. Bereits mit 21 Jahren beschloss Rankin Fotograf zu werden und wechselte wenige Jahre später, anstatt sein Betriebswirtschaftsstudium abzuschließen, lieber zum Londoner College of Communication. Dort gründete er mit einem Kommilitonen das Magazin „Dazed & Confused“, das sich in England zu einem der führenden Magazine der 90er Jahre entwickelte.
Vorwort als Schlusswort
Am Ende schauen wir doch einmal ins Vorwort von William Boyd, denn schließlich steht nirgends geschrieben, dass es immer als Erstes gelesen werden muss. Der berühmte Schriftsteller vergleicht darin Rankin mit dem wohl bekanntesten Modefotografen unserer Zeit, Richard Avedon. Er geht von seinen persönlichen Erfahrungen während einer gemeinsamen Fotosession aus und lässt seiner Enttäuschung freien Lauf. „Ich hatte wohl mit einem besseren Ergebnis gerechnet. Diese entmutigende Erfahrung mit Avedon veranlasste mich erneut, über Rankin nachzudenken und darüber, wie ausgezeichnete Porträtaufnahmen entstehen und was damit zusammenhängt.“ Und weiter: „Ich bin jetzt zu dem vielleicht herausfordernden Schluss gelangt, dass die Persönlichkeit des Fotografen ebenso wie die des Objekts bei Porträtaufnahmen von größter Wichtigkeit ist.“ Der größte Unterschied ist für Boyd, dass er bei Avedon nicht völlig entspannt gewesen sei und dass Rankin in der Lage sei, jedem seiner Modelle zu eben dieser Entspannung vor der Kamera zu verhelfen. Folgendes Vorwort erscheint uns indes auch ein gelungenes Schlusswort zu Rankins MORE: „Aber es passiert noch etwas anderes, wenn er fotografiert: Rankin hat ein feines Gespür für den besonderen Moment. Und genau das ist der Grund, warum seine Porträts so individuell und überzeugend sind und einen so sehr in ihren Bann ziehen.“
MORE by Rankin
Verlag: teNeues Verlag
368 Seiten, Hardcover
243 Farb- und 110 Duplex-Fotografien
Text in Englisch, Deutsch, Französisch
€ 98,oo
ISBN: 978-3-8327-9708-9
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