Zwei Wochen Quarantäne – der Alptraum eines jeden Fotografen. Denn um richtig gute Fotos zu machen, muss man vor die Tür gehen – oder etwa nicht?! Jan Leschke hat aus der Not eine Tugend gemacht und unter Corona ein spannendes Fotografieprojekt in den eigenen vier Wänden umgesetzt.
von Jan Leschke
© Fotos Jan Leschke
Nachdem Corona das gesellschaftliche Leben seit gut zwei Jahren durcheinanderwirbelt, hat es in den Weihnachtsfeiertagen 2021 auch uns getroffen. Neben Arztbesuchen und vielen Gedanken, die man sich macht, hatte ich vor allem eins: etwas mehr Zeit als sonst. Befeuert durch unterschiedliche Foto-Lektüren wuchs in mir das Bedürfnis nach einem neuen Projekt. Quarantäne-bedingt musste dieses Projekt natürlich in den eigenen vier Wänden stattfinden. Das Projekt sollte fordernd sein und mich aus meiner Komfortzone bringen. Das Thema sollte eng gesteckt sein und natürlich einen klaren roten Faden aufweisen.
Inspirationsquelle Klassiker
Ich beschäftigte mich zuletzt mit einigen alten Meistern, wie Ansel Adams oder Paul Strand. Von ersterem blieb mir das Bild „Leaves, Mills College“ im Kopf und letzterer inspirierte mich durch sein Buch „The Garden of Orgeval“. Zum Ende seines Lebens war Strand nicht mehr in der weiten Welt unterwegs. Stattdessen beschäftigte er sich mit dem, was ihn umgab: seinem Garten. Und er verstand es, Unspektakuläres und Allgegenwärtiges auf besondere Weise und interessant darzustellen. Motiviert durch die Klassiker und die Einschränkungen in meiner aktuellen Situation fiel meine Wahl für das Fotoprojekt auf das Sujet Zimmerpflanzen: Man freut sich, wenn sie da sind, aber eigentlich sind sie für Nicht-Botaniker wie mich eher langweilig. Die selbstauferlegte Vorgabe war es also, trotzdem interessante Fotos zu erzeugen und nebenbei meine Komfortzone zu verlassen. Die Durchführung der Aufnahmen sollte entsprechend durchdacht und die Bilder zuvor möglichst gut visualisiert werden.
Besonderheiten entdecken
Die typische Zimmerpflanze ist grün, so auch bei uns zu Hause. Es mag Ausnahmen geben, aber bei unseren Pflanzen kann die Farbe eindeutig nicht als interessanter Aspekt gelten. Als interessant hingegen empfinde ich die Formen der Pflanzen und insbesondere ihrer Blätter sowie deren Strukturen und Muster. Um dies zu unterstreichen, lag die Darstellung der Bilder in Form von Schwarz-Weiß-Umsetzungen auf der Hand.
Ein von mir immer wieder gern eingesetzter „Effekt“, so will ich es hier einmal nennen, ist die Nutzung geringer Schärfentiefe, um den Bildinhalt von einem, möglicherweise, unruhigen Hintergrund zu separieren. Hier sollte für mich nun das Verlassen der Komfortzone einsetzen. Bei der Durchsicht meiner Fotos der letzten Jahre wird meine Vorliebe für lichtstarke Optiken deutlich, die meist dann auch sehr offenblendig zum Einsatz kommen. Ich mag den Look geringer Schärfentiefe bei Porträts, aber auch bei Detailaufnahmen. Wenn ich ehrlich bin, gibt es allerdings Aufnahmen, bei denen eine große Schärfentiefe aussagekräftiger, jedoch von der Durchführung anspruchsvoller gewesen wäre. Vorder- und Hintergrund müssen in diesem Fall zum Motiv passen beziehungsweise muss es anderweitig möglich sein, das Motiv zu separieren; kompositorisch oder zum Beispiel durch Nutzung des natürlichen oder künstlichen Lichts. Zur Separation kann Blende 1,4 Wunder wirken, jedoch auch dazu führen, dass der Look zur Gewohnheit wird.
Die Aufgabenstellung
Das Ziel sollte also sein, mit hohen Blendenwerten zu fotografieren, f8 oder mehr. Natürliches Licht ist im Quarantäne-Bunker üblicherweise knapp bemessen, insbesondere, wenn man sich vornimmt, stark abzublenden. Neben einer Lösung für diese Schwierigkeit waren mir jedoch vor allem die gestalterischen Möglichkeiten wichtig, die sich durch die Nutzung von Kunstlicht eröffnen: die Wahl zwischen hartem und weichem Licht, die Option, Blätter zu durchleuchten, um Strukturen hervortreten zu lassen sowie das „Spotlight“ gezielt auf Formen und Charakteristiken zu lenken, die ich betonen wollte. Zusätzlich konnte ich durch die Lichtführung den Hintergrund verschwinden lassen und somit für die nötige Separation sorgen.
Spannung durch Abstraktion
Spannend fand ich den Gedanken, die Pflanzen abstrakt darzustellen und den Betrachter eine Weile seiner Fantasie zu überlassen. Gute Beispiele hierfür sind die Bilder der Yucca. Durch das weiche Licht bekommen die Blätter etwas Elegantes und Schwungvolles, aber vor allem Grafisches. Das dritte Bild der Yucca hingegen deutet schon eher auf die Pflanze hin. Das Bild einer Palme zeigt einen einzelnen Zweig, der der Kamera entgegenkommt. Ich mag die Leichtigkeit dieser Aufnahme; auf mich wirkt der Zweig wie der Rücken eines Falters, der davonfliegt. Beim fünften Bild, das einen Bogenhanf zeigt, ist für mich die „getigerte“ Färbung der Blätter charakteristisch, weshalb diese auf jeden Fall ins Bild einfließen sollte. Durch die Perspektive in den Blätterkelch erhält diese Aufnahme ihren abstrakten Charakter.
Für die Bilder der Schiefblattbegonie, des Farn, der Aloe Vera und der Zamioculcas Zamiifolia war es hingegen jeweils ein bestimmtes Merkmal, das ich herausstellen wollte. So faszinieren mich die „Farbspritzer“ auf den Blättern der Schiefblattbegonie und die sich wiederholende Form der Blätter des Farns. Die zackigen Blätter der Aloe Vera haben etwas tierhaftes, gerade durch die punktuelle Beleuchtung. Bei der Zamioculcas gefiel mir der Gedanke, die dicken Blätter der Pflanze mit viel Licht zu durchleuchten und die Struktur der Blätter, die eigentlich eher unauffällig ist, hervorzuheben.
Spiel mit Assoziationen
Mein Paradebeispiel für die Idee der vorherigen Visualisierung ist der Drachenbaum: Mein erster Gedanke beim Studieren der Pflanze war, dass sie eigentlich wie ein Feuerwerk aussieht – die Quarantäne zog sich übrigens auch über Silvester hin. Mein Ziel war es nun, mithilfe der Beleuchtung diese Assoziation auch beim Betrachter auszulösen, in der Hoffnung, dass das Bild zumindest im ersten Augenblick für etwas Verwunderung sorgt.
Die Technik
Zum Schluss ein paar Worte zur eingesetzten Technik. Ich habe ein 35-mm-Weitwinkel und ein 100-mm-Makro eingesetzt. Zur Beleuchtung dienten Blitze mit Funkauslöser, die ich pur für hartes oder mit einer Softbox für weiches Licht eingesetzt habe. In der Nachbearbeitung habe ich hauptsächlich mit den Kontrasten gespielt. Während ich es bei der Naturfotografie nicht mag, wenn stark retuschiert und beispielsweise „mal kurz der Hochspannungsmast entfernt wird“, habe ich bei den Zimmerpflanzen zudem im Nachhinein etwas Staub oder Erdkrümel entfernt. Ich habe versucht sie vorher zu säubern, aber man erwischt natürlich nicht alles. Und so bin ich letztlich in ein persönliches ethisches Dilemma gerutscht: Was ist schlimmer, vorher oder nachher saubermachen? Spaß beiseite, in diesem Fall finde ich eine kleine Retusche nicht verwerflich; ich mag es nur einfach nicht, wenn man es verheimlicht.
Ich möchte die entstandenen Bilder nicht nur zeigen, sondern auch dazu motivieren, mal wieder ein Projekt anzugehen und die eigene Komfortzone zu verlassen. Insbesondere wenn man der Fotografie schon länger frönt, ist es überraschend, in welchen Gewohnheiten man gefangen ist und wie erfrischend es ist, sich ihnen bewusst zu stellen.
Zur Person
Jan Leschke beschäftigt sich hauptberuflich mit der Forschung in der Lasertechnik. Nebenberuflich und in einem großen Teil seiner Freizeit widmet er sich seit über zehn Jahren intensiv der Fotografie. Hierbei liegt sein Fokus auf der Personen- sowie Naturfotografie.
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