Eine umfangreiche Ausrüstung bietet Fotografen viele Möglichkeiten, kann aber auch hinderlich sein. Eine Überfülle an Optionen kann dazu führen, dass man sich darin verliert. Warum Sie sich öfter gezielt einschränken sollten und wie Sie mit weniger Equipment bessere Fotos schießen, erfahren Sie in diesem Artikel.

von Benjamin Lemm

© Fotos von Benjamin Lemm

Kamera-Ausrüstung kann süchtig machen. Gehören auch Sie zu den Fotografen, die sich jeden Monat ein neues Objektiv gönnen und, kaum, dass sich die neue Kamera beherrschen, schon die nächste im Blick haben? Immer wieder reden wir uns ein, dass wir gewisses Equipment brauchen, um „bessere“ Fotos zu machen und dass uns neues „Gear“ den Fotografie-Alltag deutlich erleichtern würde.

Aber wenn wir ehrlich sind, stimmt das in vielen Fällen einfach nicht. Im Gegenteil: Je mehr Möglichkeiten wir haben, desto schwerer fällt es uns, eine Entscheidung zu treffen. Welche Objektive soll ich auf den heutigen Ausflug mitschleppen? Reicht die kleine Kompaktkamera oder soll es dann doch das Vollformat-Monstrum mit zusätzlichem Batteriegriff sein? Welche Brennweite verwende ich für das vorliegende Motiv und brauche ich vielleicht doch eine Zweitkamera, um vor Ort flexibler zu sein?

Aus Angst, ein Motiv nicht optimal ablichten zu können, wollen wir uns alle Möglichkeiten offenhalten und schleppen so ein ganzes Arsenal an Kameratechnik durch die Gegend. Und das ist nicht nur anstrengend, sondern kann einem auch den Spaß an der ganzen Sache gehörig vermiesen.

Mit Mut zur Lücke

Neues Equipment ist eben nicht immer die Lösung für bessere Fotos. Manchmal hilft es auch, einen Schritt zurückzugehen und sich gezielt ein wenig einzuschränken. Denn das erleichtert uns den Fotografie-Alltag nicht nur, sondern fördert auch die Kreativität.

Nicht umsonst rät man Fotografie-Anfängern, sich zunächst auf eine Festbrennweite zu beschränken. So lernt man die Möglichkeiten und Grenzen der Brennweite kennen, kommt in die Bewegung und geht viel bewusster an die Bildkomposition heran.

Dieser Halsbandsittich beäugte mich und meine Kamera eher misstrauisch.

Aber auch, wenn Sie schon ein gestandener Fotograf sind, kann es helfen, sich bewusst einmal für längere Zeit auf nur eine Festbrennweite zu beschränken. Denn nun sind Sie gezwungen, andere Lösungen zur Bildgestaltung zu finden, weil sie nicht zoomen oder das Objektiv wechseln können. Auf einmal machen Sie Fotos, die Sie so sonst nie umgesetzt hätten oder kommen auf neue Ideen zur Bildgestaltung, die Ihnen ansonsten verborgen geblieben wären. Vielleicht bemerken Sie zum Besipiel, dass Landschaftsfotografie durchaus auch mit einer teligeren Brennweite reizvoll sein kann. Außerdem sorgt die immer gleiche Brennweite für einen einheitlicheren Look Ihrer Bilder und hilft so, Ihren Stil zu definieren. Ein netter Nebeneffekt: Sie müssen sich eben nicht mit der großen Menge an Equipment herumschlagen und sind auf Ausflügen oder Fotowalks sehr viel mobiler – ein durchaus befreiendes Gefühl. Das wiederum hat auch positiven Einflus auf Ihre Fotos, denn Sie sich beweglicher und können so ganz anders an Ihr Motiv herangehen und experimentieren.

Back to the roots

Auch die alte, schon etwas in die Jahre gekommene Kamera mal wieder abzustauben und gezielt nur mit dieser zu fotografieren, kann ungeahntes fotografisches Potenzial in Ihnen wecken. Ein Manko der hochmodernen Kameras ist nämlich, dass diese immer intelligenter werden und uns viele Aufgaben automatisch abnehmen. Das kann im Alltag durchaus angenehm sein, führt aber auch dazu, dass wir das fotografische Handwerk Stück für Stück verlernen – wie ein Muskel, der nach und nach verkümmert, wenn man ihn nicht mehr nutzt.

Auch Landschaftsfotografie ist mit einem 50mm-Objektiv durchaus möglich.

Die Smartphone-Fotografie ist das beste Beispiel dafür, dass man heutzutage weit weniger über Fotografie wissen muss, um tolle Ergebnisse zu erzielen. Aber auch die Fotografie mit „echten“ Kameras hat sich dementsprechend gewandelt. Ein schneller und präziser Autofokus und jede Menge künstliche Intelligenz sind mittlerweile ein Garant für tolle, scharfe Bilder. Wenn Sie aber Ihr fotografisches Können weiterentwickeln wollen, sollten Sie sich nicht allzu sehr auf solche technischen Hilfsmittel stützen.

Viele Fotografen schwören deshalb auch heutzutage immer noch auf analoge Fotografie – und das trotz der vielen Handicaps, die eine solche Kamera mit sich bringt. Und auch der Wiederaufstieg der in ihren Möglichkeiten sehr eingeschränkten Sofortbildkamera ist ein Zeugnis dafür, dass brillante Technik nicht immer der Weisheit letzter Schluss ist. Limitation hat eben auch aus künstlerischer Sicht einen gewissen Reiz.

Ein Monat, eine Kamera, ein Objektiv – ein Eigenversuch

Vor kurzem habe ich selbst mal wieder das Experiment gewagt und einen Monat lang ausschließlich mit einer Kamera und einer Festbrennweite fotografiert. Die Wahl fiel auf meine alte Sony Alpha 6000, eine zwar etwas in die Jahre gekommene, aber immer noch sehr solide APS-C-Kamera, die vor allem wegen ihrer Kompaktheit (120 x 66 x 45 mm bei 344g) bei vielen Ausflügen meine erste Wahl ist. Außerdem entschied ich mich für das Sony 50mm F/1.8 OSS-Objektiv, zum einen weil auch dieses recht klein und kompakt ist, zum anderen weil der reduzierte Look, den mir das 75-mm-Äquivalent bietet, sehr zusagte.

Dass ich mich fotografisch derart beschränkte, brachte mir zunächst einmal vor allem eines: Erleichterung. Statt des großen Fotorucksacks reichte eine kleine Umhängetasche zum Transport meines Equipments. Außerdem nahm mir diese eine Entscheidung viele weitere Entscheidungen ab und auch das etwas nervige Objektivwechseln entfiel.

Gerade in den ersten Tagen fand ich mich aber immer wieder auch in Situationen wieder, in denen ich mich heimlich ärgerte: „Hätte ich doch ein etwas weitwinkligeres Objektiv, könnte ich dieses Gebäude jetzt viel besser ablichten“ oder „Hätte ich jetzt das Tele dabei, wäre mir dieser Vogel nicht entgangen!“, waren Gedanken, die mich zwischendurch quälten.

Irgendwann jedoch akzeptierte ich die Grenzen meiner Ausrüstung und anstatt über verflossene Gelegenheiten nachzugrübeln, konzentrierte ich mich auf die Möglichkeiten, die mir das 50mm bot. Schon bald nahm ich die Welt sehr viel differenzierter wahr und fotografierte ganz anders, als ich es mit einer vollumfänglichen Kameraausrüstung getan hätte. Ich begann, meine Umgebung innerlich auf Bildausschnitte zu reduzieren, die dem 75-mm-Vollformat-Äquivalent entsprechen.

Je länger ich mich dabei mit der Brennweite auseinandersetzte, desto besser wurde mein Gefühl für diese. Schon sehr bald erkannte ich geeignete Motive sehr viel besser und entwickelte neue Ideen und Perspektiven. Auch bekam ich relativ schnell einen guten Blick für den Abstand, den ich von meinem potenziellen Motiv haben musste, um dies im gewünschten Bildausschnitt platzieren zu können.

Eine Tankstelle trotzt dem Nebel am Rheinufer.

Dabei entstanden jede Menge Fotos, die ich so sonst nicht gemacht hätte. Zum Beispiel verleitete der reduzierte Bildausschnitt mich entgegen meiner sonstigen Gewohnheit viel öfter zu hochkantigen Fotos. Was mir an dem Look besonders gefiel, war die Ausschnitthaftigkeit des Brennweitenbereiches. Die Bilder, die so entstanden, haben nicht den Anspruch, die gesamte Realität darzustellen oder das Motiv im Kontext seiner Umgebung zu zeigen, sondern halten das Leben in Ausschnitten fest. Der Betrachter der Bilder muss sich unweigerlich fragen: Was befindet sich rechts und links des Bildausschnitts? Und genau darin liegt der Reiz dieser Fotos.

Das Fazit nach einem Monat fällt sehr positiv aus: Ich habe eine Menge über den kreativen Umgang mit der 50-mm-Festbrennweite gelernt und gleichzeitig mein Gespür dafür geschärft, in welchen Situationen andere Brennweitenbereiche geeigneter gewesen wären.

Im Nachhinein habe ich überhaupt nicht das Gefühl, in diesem Monat schlechtere Fotos gemacht zu haben als sonst – sie sind nur eben anders, weil der Schwerpunkt durch die Limitation ein anderer war. Für mich steht jetzt schon fest: Für den nächsten Monat nehme ich mir eine andere Festbrennweite vor!

(Un)endliche Möglichkeiten

Neben technischen Einschränkungen können Sie sich auch inhaltliche Grenzen für Ihre Fotografie setzen. Viele Fotografen machen das bereits automatisch, indem sie sich besonders einem oder zwei Genres verschreiben. Wir Menschen lieben es eben, uns zu definieren und dementsprechend auch zu spezialisieren. Ob Sie nun Landschafts-, Street- oder Porträtfotograf sind: Dadurch, dass Sie sich auf ein bestimmtes Gebiet beschränken, können Sie erst echte Expertise entwickeln. Denn wer sich nicht spezialisiert und versucht, alles gleichzeitig zu machen, wird am Ende in nichts davon besonders gut sein.

Ein interessierter Blick auf das Fahrwerk des Vulkan-Expresses im Brohltal.

Fotoprojekte, bei denen Sie sich auf bestimmte Inhalte beschränken, helfen zusätzlich, Ihre Nische noch enger zu definieren und führen zu ganz eigenen Fotoideen. Je mehr Sie sich dabei einschränken, desto kreativer müssen Sie werden, um neue, abwechslungsreiche Fotos zu kreieren. Auch können Sie sich so sehr stark von anderen Fotografen abheben. Suchen Sie sich doch ein bestimmtes Thema wie zum Beispiel „Blumen“, „Autos“ oder „Straßenschilder“ heraus und verfolgen Sie nur dieses für eine Zeit.

Weitere Ideen zur kreativen Begrenzung:

  • Limitieren Sie die Menge Ihrer Fotos. Beschränken Sie sich bei Ihrem nächsten Fotoausflug auf zum Beispiel zehn Bilder. So sind Sie gezwungen, sehr viel bewusster zu fotografieren und geben sich viel mehr Mühe bei der Bildkomposition. Erinnern Sie sich an die analogen Zeiten zurück: Damals konnte man ein Motiv auch nicht aus zwanzig verschiedenen Perspektiven fotografieren, bis das perfekte Foto im Kasten war.
  • Fotografieren Sie ausschließlich in Schwarz-Weiß. Indem Sie die Farben außen vor lassen, liegt der Fokus nun noch mehr auf den Linien und Strukturen des Bildes und auf der Bildkomposition an sich.
  • Konzentrieren Sie sich auf eine kleine Location: Die Corona-Pandemie hat uns zeitweise in die eigenen vier Wände verbannt – für viele Fotografen eine absolute Katastrophe. Aber diese Art der Einschränkung birgt auch kreatives Potenzial: Fotografieren Sie beispielsweise eine Zeitlang nur in Ihrem Garten oder gar ausschließlich innerhalb Ihrer Wohnung. Sie werden sehen, dass sich auch auf kleinstem Raum mehr fotografische Möglichkeiten eröffnen, als zunächst gedacht.
  • Fotografieren Sie eine Zeitlang nur im manuellen Modus- So müssen Sie sich vor jedem Bild intensiver mit den verschiedenen Parametern auseinandersetzen und lernen deren Einfluss auf das fotografische Ergebnis noch besser kennen.
  • Beschränken Sie sich beim Fotografieren auf eine oder zwei dominante Farben in Ihren Fotos. Das schärft Ihren Blick für Farbe und Farbkombinationen und resultiert in einer einheitlichen Fotoserie.