Das Böse fasziniert uns seit jeher. In Märchen und Mythen ist es präsent, in Kinofilmen, Bühnenshows und Videospielen – und so auch in der inszenierten Menschenfotografie.
von Jamari Lior
Verschiedenste Disziplinen haben sich mit dem Bösen beschäftigt und mit der Faszination, die es auf Menschen ausübt. Auf ganz unterschiedliche Art und Weise haben sie versucht zu erklären, was genau es ist, dass das Böse so anziehend macht. Bevor wir uns dieser Frage nähern, müssen wir zunächst beantworten, was das Böse eigentlich ist. Definiert wurde es zigfach. Besonders schwierig macht es dabei allerdings die wertende Komponente, die der Begriff beinhaltet – das Böse muss nicht absolut sein. Was zu Großmutters Zeiten vielleicht als böses Verhalten galt, ist heute ganz normal, und was in dem einen kulturellen Kontext für böse gehalten wird, mag in einem anderen für cool befunden werden, so zum Beispiel das Zeigen des Mittelfingers oder das Tragen sehr freizügiger Kleidung. Viele Definitionen führen aber vor allem einen Punkt aus: Dem Bösen liegt eine Entscheidung zugrunde. Dementsprechend kann eine Naturgewalt beispielsweise durchaus „schlecht“ sein, aber nicht im engeren Sinne „böse“, denn sie entscheidet sich ja nicht bewusst so zu sein, wie sie ist. Böse Kreaturen aber wollen ebendies: böse sein und oft auch anderen Schaden zufügen.

Selbstzerstörung? Besessenheit? Das Bild lässt viel Interpretationsspielraum. Model: Lisa Martin. Fotograf: Dirk Ludwig.
Der böse Look
In der inszenierten Menschenfotografie sind es bestimmte physische Merkmale, die böse Kreaturen typischerweise kennzeichnen. Manche sind aufgrund des kulturellen Wissens direkt erkennbar, so zum Beispiel Medusa mit ihren Schlangenhaaren oder Graf Dracula mit seinem dunklen Umhang, den langen Zähnen und der weißen Haut. Handelt es sich um weniger konkrete Figuren, sind es oft außergewöhnliche Merkmale, die das Böse assoziieren lassen. Hierbei sticht besonders ein böser Blick heraus. Dieser entspricht einem weitverbreiteten Volksglauben. In der inszenierten Fotografie kann man sich das zunutze machen, indem man die Augen durch Kontaktlinsen ungewöhnlich färbt, lila oder rot beispielsweise, oder indem man sie in Photoshop völlig schwarz oder ganz weiß gestaltet.
Zudem gibt es auch häufiger dermatologische Auffälligkeiten bei Bösewichten in Filmen, so etwa größere Narben – eine gute Visagistin kann entsprechende Merkmale aufmalen oder mit Latexkleber anbringen.
Hybridwesen werden ebenfalls oft mit dem Bösen in Verbindung gebracht, so zum Beispiel Meereshexen oder gehörnte Wesen. Dabei spielt oft die Macht, die sie ausüben, einen besondere Rolle. Dies betrifft auch die Macht sexueller Anziehungskraft, die beispielsweise in der Figur von Vampiren, aber auch von Dominas verkörpert wird. In der Fetisch-Szene findet man nicht nur Locations, die sich bestens für „böse Foto-Shootings“ eignen, wie etwa Verliese und Folterkammern, sondern auch spannende Outfits, die vor allem die deviante und erotische Seite des Bösen betonen.
Allerdings gibt es auch böse Taten, die für die Fotografie inszeniert werden können. Auch hier müssen die Situationen möglichst verständlich sein – allzu komplizierte Aktionen werden sich dem Rezipienten wohl kaum erschließen. Besonders beliebt sind wiederum bekannte Motive, so zum Beispiel die sieben Todsünden oder die Femme fatale.

Dieses Motiv kombiniert das Apokalyptische mit einem Touch Fetisch. Model: Nidolli. Styling: Aziz Harbak. Fotograf: Jooney.
Ambiguität
Fast immer sind Motive, die etwas Böses darstellen, von Ambiguität, also einer gewissen Doppeldeutigkeit geprägt: Man sieht einerseits etwas Böses, andererseits ist dies aber kombiniert mit etwas Anziehendem. Beispiele sind die sehr attraktive Frau mit schneeweißen Augen und einem wilden Gesichtsausdruck oder eine Vampirin, die einerseits starke erotische Anziehung besitzt, andererseits aber als grausame Untote bekannt ist. Diese Ambiguität ist vielleicht deswegen so beliebt, weil der Rezipient sich hierin leichter wiederfindet. Niemand ist nur gut, aber auch nicht vollkommen böse – und gerade diese Kombination macht das Leben besonders interessant und Ihre bösen Fotos besonders spannend.

Ein weiteres Hybridwesen mit Steampunk- Akzenten. Model: Mia Shinda. Foto: Dirk Ludwig.
Die Popularität des Bösen
Warum aber ist es so populär, das Böse zu inszenieren? Unterschiedlichste Ansätze versuchen, der Faszination des Bösen auf den Grund zu gehen. So könnte man annehmen, die Auseinandersetzung mit dem Bösen helfe dabei, die Schicksalsschläge im eigenen Leben zu verarbeiten oder sich auf ebendiese vorzubereiten. Katharsis, das Gefühl der Läuterung, wird ebenfalls oft als ein Grund genannt, ebenso wie die Conditio humana, die nun einmal Böses und Gutes umfasst und in der sich entsprechend jeder Mensch wiederfinden kann.

Tragik und Melancholie zu verkörpern reizt Model Maya Lou. In der Figur des Vampirs sieht sie eine allgemein menschliche Situation, gefangen zwischen Gut und Böse. Model: Maya Lou. Foto: Dorothea Lichte.
Das Böse verkörpern
Das Böse zu verkörpern, also am eigenen Körper zu erleben, geht noch einen Schritt weiter. Es kann Modellen dabei helfen, dem Gefühl, nicht in die Gesellschaft zu passen, Ausdruck zu verleihen und dabei zugleich Macht empfinden zu können. Diese Macht ist häufig sexuell konnotiert und ermöglicht damit auch die Auseinandersetzung mit der eigenen Sexualität und den Gender-Machtverhältnissen, gerade, da die meisten Modelle weiblich sind. Ein weiterer Aspekt besteht in der Rebellion, die das Model artikulieren kann – indem sie beispielsweise als sexy Nonne gesellschaftliche Doppelmoral aufdeckt oder mit einem – wenn auch nur für das Shooting – aufreizenden Look provoziert.

Mischwesen wirken oft faszinierend, aber auch gruselig und böse. Model: Nidolli. Foto: Jooney.
Das Böse – ästhetisch
Anders als bei anderen Verkleidungsaktivitäten – Karneval, Schauspiel oder Mottoparties etwa – kommt noch das Bildresultat hinzu: Dabei spielt die ästhetische Überformung des Bösen eine Rolle. Gleich, was inszeniert wird: Es soll doch eine künstlerisch-kreative Note tragen. Damit wird das Böse quasi gezähmt und zudem in eine handhabbare Form gebracht, die man unter ästhetischen Gesichtspunkten betrachten kann. Und damit unterwirft sich das Böse quasi der Kunst …
Tipps für das Inszenieren des Bösen
Wie kommen Sie auf spannende, böse Themen? Vor allem alte Mythen und Legenden sowie die Bibel halten viele Optionen parat. Wenn Sie mit bekannten Motiven arbeiten, geht beim Rezipienten das Kopfkino an – nutzen Sie diesen Effekt.
Generell eignen sich folgende Merkmale, Charaktere böse zu gestalten:
- Seltsame Augen: Extremfarbige, weiße, rote oder lila Kontaktlinsen gibt es auch für die einmalige Anwendung; Modelle sollten erfahren in der Nutzung sein, ansonsten tränen die Augen womöglich während des ganzen Shootings.
- Lange Krallen: Kunstfingernägel helfen dabei, Finger in Klauen zu verwandeln. Dafür reichen billige Plastiknägel aus dem Euroshop – Hauptsache, sie sind richtig lang.
- Eckzähne: Vampire tragen sie und manchmal auch Zombies – lange Eckzähne. Plastikzähne aus dem Karnevalsbedarf wirken meist zu billig; vom Kieferorthopäden angepasste „Fangs“ sind vermutlich zu teuer für ein einziges Shooting. Hier hilft unter Umständen Photoshop: Wenn das Model den Mund weit öffnet, kann man mit „Verflüssigen“ die Zähne lang ziehen.
- Skurrile Kleidung: Vor allem schwarze und weiße Outfits eignen sich für gruselige Bilder. Sie sollten aber außergewöhnlich sein, vielleicht zerissen oder seltsam geschnitten. Auch Kunstblut kann noch dazukommen.
- Schlangen und Spinnen: Viele Menschen haben vor Schlangen und Spinnen Angst, sodass sich beide gut für die Inszenierung des stereotypen Bösen eignen. Beide gibt es als Plastikvarianten – zum Teil recht günstig und glaubhaft. Bei Spinnen ist es spannend, auch Spinnennetze dazu zu dekorieren, die Sie im Karnevalsbedarf günstig erwerben können.
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