Der Weg zum eigenen Stil
Sich in der Fotografie von der breiten Masse abzuheben, ist gar nicht so einfach. Deshalb bemühen sich viele Fotografen, eine eigene fotografische Handschrift mit Wiedererkennungswert zu kreieren. Aber wie entwickelt man seinen eigenen Stil?
von Benjamin Lemm
Fotografische Stile gibt es zuhauf. Da sind einmal die Minimalisten, deren Bilder auf wenige Elemente reduziert sind; oder die Landschaftsfotografen, deren Aufnahmen vor farbenfrohen Elementen und Detailreichtum nur so sprühen; oder die Street-Fotografen, die einen eher cinematischen Look bevorzugen. Viele Fotografierende spezialisieren sich auf ein bestimmtes Genre und suchen sich ihre Nische, die sie mit bestimmten Farben, Perspektiven oder anderen Leitmotiven definieren. Wieder andere fotografieren alles, was ihnen vor die Linse kommt, schießen aber ausschließlich in Schwarz-Weiß. Die Vielfalt ist groß und die Möglichkeiten schier endlos. Trotzdem wiederholt sich in der Fotografiewelt vieles. Immer wieder entwickeln sich Trends, die auf Instagram durchgekaut und wieder ausgespuckt werden. Man denke nur an den Hype um HDR-Fotografie, den es vor einigen Jahren gab.
Trends wie dieser sind per se nicht schlecht, bergen für die Fotografen aber die Gefahr, dass ihre Bilder austauschbar werden. Wenn alle das Gleiche machen, ist nichts „Besonderes“ mehr daran. Wirklich erfolgreiche Fotografen hingegen fallen durch ein Alleinstellungsmerkmal auf – eben weil sie Bilder kreieren, die andere so nicht hinbekommen oder weil sie einzigartige Ideen haben und umsetzen. Doch wie kommt man dorthin?
Der Fotograf Klaus Lenzen hat es geschafft einen, einheitlichen, minimalistischen Look zu kreieren, der die architektonischen Formen von Gebäuden in den Vordergrund stellt und mit sehr wenigen Elementen auskommt.
Natürliche Entwicklung
Zunächst einmal entwickelt jeder Fotograf im Laufe seines Schaffens gewisse Vorlieben für bestimmte Motive, Perspektiven oder Bildkompositionen. Das ist vollkommen natürlich und führt unweigerlich zu einer eigenen Handschrift. Allerdings kann dieser Prozess sehr langwierig sein. Er lässt sich jedoch durch Reflexion und gezieltes Üben beschleunigen. Wer seinen eigenen Stil „erzeugen“ möchte, hat die Möglichkeit, dies gezielt zu tun, anstatt ihn dem Zufall zu überlassen. Aber wie lässt sich der Stil überhaupt beeinflussen?
Faktor 1: Das Motiv
Besonders ausschlaggebend für den fotografischen Stil ist natürlich das, was man vor die Linse bringt. Sind Sie eher der People-Fotograf oder bevorzugen Sie Landschaften? Ist Street-Fotografie Ihr Steckenpferd oder findet man Sie eher in der Natur? Und auch innerhalb der verschiedenen Genres gibt es unterschiedliche Richtungen. Je mehr man sich spezialisiert, desto unverwechselbarer werden die Bilder und desto mehr Expertise kann man in seiner Nische entwickeln.
Neben dem, was man fotografiert, ist zudem auch das „Wie“ nicht ganz unerheblich. Welche Perspektive wählt man für die Bildgestaltung? Reduziert man sein Bild gezielt auf einige wenige Elemente, spielt mit geometrischen Formen oder bevorzugt man gewisse Farben?
Faktor 2: Die Technik
Die Technik kann einen großen Einfluss auf das Look & Feel unserer Bilder haben. Digitale Kameras haben eigene Algorythmen zur Verarbeitung und Darstellung von Farben, die sogenannte „Color Science“, sodass dasselbe Bild, mit verschiedenen Kameras aufgenommen, sehr unterschiedlich aussehen kann. Die Darstellung von Hauttönen zum Beispiel ist bei Porträtfotografen ein großes Thema. In Zeiten, in denen die Nachbearbeitung von Bildern fast schon Pflicht ist, sind solche Spezifikationen zwar zweitrangig, weil die Farben im Nachgang sowieso nochmal individuell angepasst werden. Aber dazu später mehr.
Dennoch hinterlässt die Kamera, mit der man fotografiert, unweigerlich ihre Spuren. Nicht umsonst schwören viele Fotografen immer noch auf analoge Apparate – weil diese eben einen ganz besonderen Look erzeugen, der mit digitaler Kameratechnik nur schwer nachzuahmen ist. Auch so kann also ein Stil entstehen.
Die Münchner Hobbyfotografin Rafaela Berger nutzt in ihren Bildern oft eine Kombination von Orange- und Blautönen – ein Leitmotiv, das sich vor allem durch ihre Fotos der Münchner Innenstadt zieht.
Außerdem limitiert die Technik den Lichtbildkünstler in seinen Möglichkeiten und hat so direkten Einfluss auf seine Bilder. Es macht natürlich wenig Sinn, sich auf Makrofotografie zu spezialisieren, wenn man das entsprechende Equipment nicht hat. Wer eine Kamera mit schlechtem Autofokussystem besitzt, wird an der Sportfotografie kaum Freude haben und wer Vögel fotografieren möchte, aber kein Teleobjektiv besitzt, wird in seinen Möglichkeiten unweigerlich stark eingeschränkt.
Die Wahl des Objektivs kann ebenso richtungsgebend für den eigenen Stil sein. Als Fotograf entwickelt man unweigerlich Vorlieben für bestimmte Brennweiten. Und diese haben eben auch einen maßgeblichen Anteil am „Look“ der Bilder. Es gibt Fotografen, wie Sony World Photography Award-Gewinner Klaus Lenzen, die gezielt für alle ihre Bilder nur eine einzige Brennweite verwenden. Die vermeintlichen Beschränkungen des eigenen Equipments können deshalb durchaus auch ein kreatives Geschenk sein.
Faktor 3: Die Bildbearbeitung
An der Bildbearbeitung scheiden sich die Geister. Während viele Fotografen ihr Bild so wenig wie möglich bearbeiten und die Postproduktion eher als notwendiges Übel ansehen, fängt für andere hier der Spaß erst richtig an. Fest steht, dass man seinen Bildern in der Nachbearbeitung einen unverwechselbaren Look verleihen kann. Der Stil vieler Fotografen entsteht heutzutage erst am Computer. Durch die Manipulation von Farben und Lichtverhältnissen lässt sich hier ein einheitliches Schema erstellen, das auch über die Grenzen eines klassischen fotografischen Genres hinausreichen kann. Viele bekannte Fotografen verkaufen hierfür sogenannte „LUTs“ und „Presets“, also digitale Schablonen, mit denen sich der jeweilige Bildbearbeitungsstil zumindest bedingt mit wenigen Klicks auf die eigenen Bilder übertragen lässt.
In 5 Schritten den eigenen Stil kreieren
Jeder fotografische Stil entsteht im Endeffekt aus einer Kombination der oben genannten Faktoren. Wer also nun seinen eigenen Stil finden oder kreieren möchte, muss sich unweigerlich mit den genannten Dingen auseinandersetzen. Im Folgenden nun einige hilfreiche Tipps und Tricks hierzu.
Schritt 1: Vorbilder suchen
Zuallererst sollten Sie sich fragen, welche Art der Fotografie Ihnen überhaupt zusagt. Dabei hilft es ungemein, wenn Sie sich an anderen Fotografen orientieren und ein Gefühl dafür entwickeln, was Sie ästhetisch finden. Welche Art der Fotografie gefällt Ihnen am besten? Welchen Fotografen folgen Sie auf Instagram und was macht deren Fotos aus? Sind es die Farben, die Motive oder eine gewisse Art der Darstellung? Ist es das Motiv, die Technik oder die Nachbearbeitung, die ausschlaggebend für den jeweiligen Stil ist? Vielleicht sind es auch nur einzelne Elemente, die Ihnen gefallen.
Um Ihre Eindrücke zu sammeln, können Sie sich sogenannte „Vision Boards“ zusammenstellen, auf denen Sie Ihre Lieblingsbilder vereinen. So sehen Sie Gemeinsamkeiten und Muster am ehesten. Indem Sie sich bewusst machen, was Ihnen gefällt, erhalten Sie einen ersten Hinweis darauf, wie vielleicht Ihr eigener Stil einmal aussehen könnte.
Ein stilistisches Mittel, das sich viele Fotografen zu Nutze machen, ist der Kontrast von Orange und Petrol. Der Stil, der auch immer wieder in Kinofilmen zum Einsatz kommt, funktioniert in den verschiedensten fotografischen Genres wie in der Architekturfotografie, in der Porträtfotografie oder der Landschaftsfotografie.
Schritt 2: Stile imitieren
Im nächsten Schritt können Sie versuchen, den Stil Ihres Lieblingsfotografen zu imitieren. Fragen Sie sich: Wie kann ich diesen Effekt erzielen? Passiert das beim Fotografieren selbst oder erst in der Nachbearbeitung? Es ist gar nicht so einfach, wie es sich anhört, weil man erst einmal herausfinden muss, was die Bilder des Vorbilds überhaupt ausmacht. Schauen Sie auf die oben vorgestellten drei Faktoren und analysieren Sie die Bilder dahingehend. Dann versuchen Sie, die verschiedenen Elemente auf Ihre Bilder zu übertragen.
Lassen Sie sich hierfür jede Menge Zeit. Gerade, wenn Sie noch am Anfang Ihrer Fotografie-Laufbahn stehen, besteht die große Herausforderung darin, das Zusammenspiel von Bildkomposition und Technik zu meistern. Es ist schwierig, die Bildbearbeitung eines anderen Fotografen nachzuahmen, wenn man noch nie mit einem entsprechenden Programm gearbeitet hat. Schauen Sie sich online nach entsprechenden Hilfestellungen um. Auf YouTube zum Beispiel finden sich zahlreiche Tutorials, in denen erklärt wird, wie man den Bildstil anderer Fotografen nachvollziehen kann. Der YouTuber Maarten Schrader beispielsweise bietet zahlreiche Videos an, in denen er Schritt für Schritt erklärt, wie die Bilder von bekannten Fotografinnen und Fotografen bearbeitet wurden.
Schritt 3: Elemente kombinieren
Nachdem Sie herausgefunden haben, was Ihnen gefällt und wie Sie es fotografisch umsetzen können, ist es an der Zeit, zu experimentieren, also nicht mehr nur nachzuahmen, sondern auch eigene Ideen zu entwickeln. Vielleicht haben Sie erkannt, dass Sie sich in der Naturfotografie zu Hause fühlen, mögen aber den Bildbearbeitungsstil einer Street-Fotografin besonders und übertragen ihre Farbgebung in ein anderes Genre. Oder Sie haben eine ganz eigene Idee, wie Sie das Beste aus verschiedenen Welten miteinander verbinden können. Erst die Kombination von verschiedenen Elementen führt zu etwas Originellem, Neuem. Versuchen Sie, verschiedene Aspekte Ihrer Lieblingsfotografen zusammenzubringen und schauen Sie, was passiert.
Schritt 4: Machen, machen, machen
Die ganze Theorie bewahrt Sie nicht davor, Hand anzulegen und einfach zu machen. Fotografieren Sie so viel und so oft es geht. Entwickeln Sie Ihren fotografischen Spürsinn weiter und reflektieren Sie Ihre eigenen Bilder regelmäßig. Suchen Sie sich Fotoprojekte zu bestimmten Themen, die Ihnen eine Richtung vorgeben. Wagen Sie sich aus Ihrer Komfortzone und fotografieren Sie auch mal gezielt anders, als Sie es normalerweise tun. Behalten Sie dabei den Gedanken des Stils im Hinterkopf und versuchen Sie, einen fotografischen „roten Faden“ in Ihren Bildern zu etablieren.
Schritt 5: Lassen Sie sich nicht eingrenzen
Auch wenn ein eigener Stil viele Vorteile mit sich bringt, kann er einen aber auch in seinen Möglichkeiten einschränken und daran hindern, Neues auszuprobieren und sich weiterzuentwickeln. Deswegen sollte man sich nicht grundsätzlich auf eine Sache beschränken, sondern immer wieder über den eigenen Tellerrand hinausblicken und sich selbst herausfordern. Im Idealfall beherrschen Sie als fortgeschrittener Fotograf alle möglichen Stile, die Sie je nach Situation und Laune anwenden können. Das Wichtigste ist aber wie immer, sich selbst treu zu bleiben und den Spaß an der Fotografie zu bewahren.
Viele Architektur-Fotografen fotografieren in Schwarz-Weiß, um die Formen und Strukturen der Gebäude noch deutlicher zu betonen.
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