Ein ausdrucksstarkes Konzertfoto entsteht nicht zufällig. Worauf es beim Fotografieren nach Noten wirklich an-kommt, haben wir für Sie zusammengefasst.

von Harald Wittig, © Fotos Harald Wittig

Das Konzertfoto bildet idealerweise den musikalischen Ausdruck beim Auftritt der Musiker ab und ist das Ergebnis von Handwerk, Planung und Musikalität. Ganz im Gegensatz zum Erinnerungsschnappschuss, der eher zufällig entstanden ist. Worauf es bei der Konzertfotografie wirklich ankommt, verrate ich Ihnen in diesem Artikel in kompakter Form. Dabei handelt es sich nicht um angelesenes Bücherwissen, sondern um echte Praxiserfahrungen.

Denn ich bin unter anderem seit 2017 alljährlich der Hausfotograf des Koblenz International Guitar Festival & Academy. Dieses Festival gehört zu den größten Veranstaltungen dieser Art weltweit, wird 2022 zum 30sten Male stattgefunden haben und präsentiert die weltbesten Konzertgitarristen solo, in kammermusikalischen Besetzungen und mit Symphonie-Orchester. Einige Beispielbilder auf diesen Seiten stammen von zurückliegenden Koblenz-Konzerten. Hinzu kommen Fotos von anderen Veranstaltungen, die unser Oberthema, das Einfangen des musikalischen Ausdrucks, sehr gut illustrieren. Genug der Vorrede, lassen Sie uns einsteigen und ganz am Anfang beginnen: mit der Planung.

 

Unerlässlich: die gute Vorbereitung

Was tut der Fotograf als Erstes, wenn er den Auftrag für Konzertfotos bekommen hat? Er befasst sich mit den Künstlern und ihrem Repertoire. Schön ist es, wenn der Veranstalter im Vorfeld mit einer aussagekräftigen Künstlerbiographie und einem Konzertprogramm aufwarten kann. Wenn nicht – was immer wieder vorkommt –, sind einige Tauchstunden durchs Internet obligatorisch.

Glücklicherweise sind inzwischen auch klassische Musiker häufig im Internet präsent und bieten auf eigenen Websites Studienmaterial zum Anschauen und Anhören. Gerade Live-Videos sind klasse, um die Körpersprache der Musiker zu studieren. Prima ist es, wenn sich dann noch ein Clip mit der Darbietung eines Stücks findet, das im angekündigten Konzert gegeben werden soll. Bei mir unbekannten Künstlern sehe ich mir tatsächlich solche Videos – gerne übrigens auch auf YouTube – in Gänze an, um mir mentale Notizen zu machen.

Wenn die Vorfeld-Recherche nichts hergibt, können Sie versuchen, bei den Anspielproben unmittelbar vor dem Konzert dabei zu sein. Haben Sie einen sehr guten Draht zum Veranstalter, gelingt dies durchaus häufig. Wenn möglich, sprechen Sie selbst auch ein paar Worte mit den Künstlern. Gerade Dirigenten sind oft bemerkenswert zugänglich.

Sollten die Musiker aber abweisend erscheinen, sind sie höchstwahrscheinlich voll auf das anstehende Konzert konzentriert. Dann müssen Sie sich unbedingt so diskret wie möglich im Hintergrund halten. Auf keinen Fall dürfen Sie durch die Szenerie stapfen oder – das musste ich selbst schon miterleben – die Musiker mit dem Handbelichtungsmesser scannen. Als Fotografen machen wir unsere Arbeit, klar. Die Musiker sollten davon aber unbehelligt bleiben. Sie haben alles richtig gemacht, wenn Sie später hören werden: „Da war ein Fotograf? Hab‘ nichts mitbekommen.“

 

Der optimale Standort

Die besten Konzertfotos entstanden, weil der Fotograf nah an das Geschehen herankommen konnte. Sofern möglich, sollten Sie also am Bühnenrand stehen, kauern oder sitzen. Wenn Sie glauben, dass es nur bei Megaveranstaltungen, die Pop-/Rock-Weltstars präsentieren, äußerst schwierig ist, nahe ans musikalische Geschehen zu kommen, muss ich Sie enttäuschen.

Es gibt auch höchst sensible Manager in der Klassikszene – die Künstler selbst sind da viel toleranter –, die es gar nicht schätzen, wenn der Fotograf im Halbdunkel vor der Bühne kauert. Nehmen Sie besser nichts als selbstverständlich an und rückversichern Sie sich beim Veranstalter. Meistens findet sich eine Lösung – und wenn es nur ein Sitzplatz weit vorne, inmitten der Ehrengäste ist.

Die Pandemie hat ohnehin die Umstände geändert, denn die Corona-Regeln haben auch die Fotografen auf feste Plätze verwiesen. Deswegen musste ich in den Jahren 2020 und 2021 auf dem Koblenz-Festival vor jedem Konzert nach einem passenden Sitzplatz Ausschau halten, denn die Karten wurden für denselben Saal je nach Veranstaltung stets neu gemischt.

Dank des rührigen und immer hilfsbereiten Teams kein Problem. Sollten Sie auf unbekanntem Terrain mit Ihnen Fremden zu tun haben, suchen Sie das Gespräch. Seien Sie höflich, aber bestimmt. Dann werden Sie in der Regel unterstützt. Immerhin möchte der Veranstalter gutes Bildmaterial von Ihnen. Das ergibt sich nun mal nicht, indem Sie Ihre Kamera mal eben in die Luft werfen.

 

Die Ausrüstung

Dass wir nicht blitzen, versteht sich von selbst. Zum einen würden wir die vorhandene Lichtstimmung kaputt blitzen, zum anderen – und vor allem – würden wir die Künstler stören. Lichtstarke Objektive sind unerlässlich. Denn sie ermöglichen uns, mit niedrigen ISO-Werten zu fotografieren. Ich fotografiere sehr gerne und aus Überzeugung mit einer Olympus PEN-F. Wohl wissend, dass MFT-Sensoren in puncto Rauschverhalten größeren Sensoren unterlegen sind. Mit meinen beiden Lieblingsobjektiven für Konzerte, dem Olympus M.Zuiko Digital ED 75mm F1.8 und dem Leica DG Nocticron 1,2/42.5mm ASPH, kann ich ohne Not bei Offenblende fotografieren.

Ein hochwillkommener Nebeneffekt ist die Separierung des Künstlers vom Hintergrund und dieser gewisse 3D-Effekt. Gleichzeitig ist die größere Schärfentiefe des kleinen MFT-Sensors bei einem Blendenwert von F1.2 zusätzlich von Vorteil, indem mehr als nur die Nasenspitze des Künstlers abgebildet wird. Jedenfalls habe ich bisher auch bei eher spärlich ausgeleuchteten Bühnen selten Werte über ISO 1600 benötigt. Deswegen mein Tipp: Sollte Sie dieser Bereich der Fotografie besonders interessieren, investieren Sie, unabhängig vom Format, in lichtstarke Optiken. Ihre Bilder werden die Richtigkeit der Anschaffung belegen.

Verfügt Ihre Kamera über ein vielseitiges Belichtungsmesssystem, können Sie sich glücklich schätzen. Gerade eine Spotmessung ist bei Konzerten Gold wert und in der Regel der Integralmessung, aber auch einer Mehrfeldmessung vorzuziehen. Wenn Sie indes eine eher „primitive“ Kamera haben – ich selbst verwende neben der PEN-F noch eine Leica M10-P, die nur mittenbetonte Integralmessung draufhat – müssen Sie vorarbeiten.

Das heißt, Sie machen ein paar Probeschüsse vor dem Konzert und stellen Ihre Kamera manuell ein. Wir können uns glücklich schätzen, dass wir im Zeitalter der Digitalfotografie direkt sehen können, wie ein Bild ausfällt. Zugegeben, auf den Komfort eines elektronischen Suchers, der exakt zeigt, wie das Foto aussehen wird, möchte ich inzwischen nicht mehr verzichten. Dennoch habe ich lange mit einer Nikon DSLR fotografiert und nutze die Leica sehr gerne wegen ihres eigenen Bildlooks.

 

 

Unabhängig vom System stellt sich die Formatfrage: RAW oder JPEG? Um es ganz klar zu sagen: Ich bevorzuge das RAW-Format, weil ich mich nicht mit Fragen des Weißabgleichs vor dem Konzert rumschlagen möchte und sehr froh bin, dass sich in der Postproduktion generell viel nachjustieren lässt. Sollten Sie extrem schnell liefern müssen, müssen Sie allerdings JPEGs machen. Nach meiner Erfahrung muss der RAW-Fotograf sich da richtig einarbeiten, sprich üben. Optimal ist es, wenn Sie rein zum Spaß und ohne Erwartungen Dritter einige Konzerte ablichten und Erfahrungswerte sammeln können.

Volksfeste oder Musikschulkonzerte bieten sich als Übungsplattformen an. Sie können auch die Bedingungen im Konzert, wie beispielsweise extreme Kontraste und Lichtstimmungen, zu Hause simulieren und so Ihre Gewandtheit beim Einstellen der Kamera trainieren. Jedenfalls müssen Sie Ihre Bildermaschine auch im Halbschlaf und bei 40 Grad Fieber beherrschen, was auch Einstellungen beinhaltet, die Sie in Ihrem Fotografen-Alltag seltener benötigen.

Da Diskretion eine Ihrer Haupttugenden ist, werden Sie selbstverständlich eine Kamera benutzen, die möglichst leise, bestenfalls unhörbar auslöst. Heute haben auch Spiegelreflexkameras eine „Leise“-Einstellung, die tatsächlich einigermaßen dezent ist. Die Lärmkulisse, die Profi-SLRs noch vor einigen Jahren lautmalten, ist glücklicherweise nicht mehr Standard, dennoch sind die Spiegellosen mit ihren elektronischen Verschlüssen klar im Vorteil. Denken Sie immer daran: Musiker sind Ohrenmenschen, deren feine Ohren sehr viel erfassen. Auch ein an und für sich leises Auslösegeräusch kann das Ausklingen eines Schlussakkords und damit Künstler und Publikum stören. Im äußersten Falle haben Sie das Konzert eines besonders empfindlichen Künstlers genau zweimal fotografiert: das erste und letzte Mal.

Ja, ich weiß, was Sie sagen wollen: „Das denke ich mir. Aber: Brauche ich Autofokus?“ Klare Antwort: „Nicht zwingend, aber die automatische Scharfstellung macht Ihnen die Arbeit leichter.“ Speziell bei Musikern, die sich vergleichsweise viel bewegen, ist Autofokus eine Riesenhilfe. Dennoch sind mir auch mit manueller Scharfstellung viele gute Bilder gelungen – auch mit der Nikon D810 habe ich meistenteils manuell scharfgestellt. Sie dürfen eben nicht zu wenige Bilder machen. Dann kann das gewünschte Topbild dabei sein. Was uns direkt zum nächsten Punkt führt.

 

Keine falsche Sparsamkeit

Machen Sie nicht zu wenige Fotos. Denn auch, wenn Ihnen der Kameramonitor ein scheinbar perfektes Bild präsentiert – am Rechner kann das Erwachen ein böses sein. Die Schärfe ist doch nicht auf dem gewünschten Punkt, vielleicht ist das Foto auch verwackelt, oder ins Bild hat sich klammheimlich ein Störer reingemogelt, der auch in der Postproduktion nicht mehr entfernbar ist. Es ist immer gut, schon während des Konzerts die Bilder zu überprüfen, indem Sie hineinzoomen. Tun Sie dies frühzeitig, haben Sie gegebenenfalls später, nach der Pause beispielsweise, eine zweite Chance. Dennoch sollten Sie nicht geizig sein. Lieber drei, vier Schüsse mehr gemacht, als den einen Fehlschuss produziert und festgehalten.

Ansonsten gilt: Auch bei bester Vorbereitung, der optimalen, virtuos beherrschten Ausrüstung bedarf es immer auch eines Quäntchens Glück, um das beste Bild von einem Konzert auf die Speicherkarte zu bannen: das Foto, das den musikalischen Ausdruck scheinbar sichtbar macht. Aber auch die aus Ihrer Sicht weniger gelungenen Bilder können Ihren Auftraggeber begeistern. Dann haben Sie aus Ihrer Sicht den Auftrag zwar nicht perfekt erledigt, aber gleichwohl gut gemacht – und haben gute Chancen, auch für künftige Veranstaltungen gebucht zu werden.