Sebastian Worms Fotografien scheinen einem Fantasy-Film zu entspringen, mit ihren strahlend-unwirklichen Nordlichtern und abstrakt-skurrilen Eisstrukturen. Wir haben mit dem Geologen und Fototour-Guide über seine Erfahrungen im hohen Norden gesprochen.

von Jamari Lior

„Dass man auch mal ohne Kamera verreisen kann, habe ich erst spät bemerkt, als ich mein Hobby längst zum Beruf gemacht hatte“, erzählt Sebastian Worm. Fotografiert hat der Geologe schon immer, und es war für ihn völlig selbstverständlich, dass ein Urlaub ausgiebig mit Fotos und Dias dokumentiert wird.

Warum ist die Natur dein bevorzugtes Motiv?

Dass es mich hauptsächlich zur Naturfotografie hinziehen wird, hat sich schon recht früh abgezeichnet. Fotografie ist für mich eng mit meiner Liebe zur Natur verbunden. Wenn ich draußen in der Natur fotografiere, ganz gleich, ob es Nordlichter in Norwegen oder Gänse in der Rheinaue sind, fühlt sich das nie wie Arbeit an.

Dazu passt ja auch dein zweiter Beruf als Geologe. Wie kam es dazu? Und hast du nun wegen des Jobs als Nordlicht-Guide mehrere Jahre in Norwegen gelebt oder hat dich erst etwas anderes dorthin geführt?

Immer wieder in den Norden gezogen haben mich zunächst klassische Wanderurlaube mit Freunden und später dann das Studium. Im hessischen Marburg hatte ich mit dem Geografiestudium begonnen. Die skandinavische Landschaft war ständig beispielhaftes Thema in der physischen Geografie. Die Eiszeiten hatten dort oben so gründlich „aufgeräumt“, dass heute alles Gestein sichtbar ist. Die Berge, die Fjorde, die Gletscher …

Es ist faszinierend, man kann dort der Geologie beim Arbeiten zuschauen. Daher dachte ich mir, es wäre doch sicherlich sinnvoll, wenn ich all das direkt vor meiner Haustür habe und nicht nur in Büchern lese. So kam es zu einem einjährigen Erasmus-Aufenthalt in Bergen an der Westküste Norwegens. Später habe ich mein Studium im Bereich der marinen Geologie in Tromsö vertieft, wo ich schnell merkte, dass ich erstmal nicht zurück nach Deutschland möchte.

Die Nordlichter sind mir dann sozusagen einfach passiert. Im Sommer hatte ich mir zunächst mit deutsch geführten Touren für Kreuzfahrtgäste etwas dazuverdient. Als es dann Anfang September plötzlich Winter wurde, gab es nur noch eins: Nordlichter.

So führte eins zum anderen. Ich nahm mein geballtes Wissen über die norwegische Landschaft aus dem Studium und baute es für Laien verständlich in meine Touren ein, für Touristen aus aller Welt. Schließlich wurde ich auch für Fototouren eingesetzt, und im Winter avancierte der Fotoworkshop zum Thema Langzeitbelichtung zum festen Bestandteil einer jeden Nordlichttour.

Inwiefern hast du als Nordlicht-Guide gegen das Wetter gekämpft?

Nordlicht-Guides könnte man eigentlich auch Wetter-Guides nennen. Die Sonnenaktivität, die das Auftreten von Nordlichtern verursacht, ist bei der Planung einer Tour tatsächlich zweitrangig. Oft habe ich wunderbare Nordlichter bei miserabler Vorhersage erlebt oder sehr schwache Lichter bei guter Vorhersage. Die Nordlichtjagd ist im Prinzip eine Jagd auf das Loch in der Wolkendecke – zumindest bei sehr schlechtem Wetter. Nordlichter entstehen in etwa 100 Kilometern Höhe. Wolken erreichen etwas mehr als zehn Kilometer. Damit ist klar: Das Wetter hat keinen Einfluss auf Nordlichter, sondern lediglich auf deren Sichtbarkeit. Nordlichter an sich müssen also gar nicht „gejagt“ werden, denn wenn sie leuchten, dann kann man sie im hohen Norden von überall aus sehen – sofern die Wolkendecke es eben zulässt.

Als Nordlicht-Guide ist also die Wettervorhersage entscheidend, nicht die Vorhersage der Nordlichtaktivität. Die Mikroklimate sind in den Wetterkarten nicht oder nur im Ansatz abgebildet, reichen aber oft schon aus, um einen Blick auf den Himmel zu erhaschen. Nicht selten sind wir bei Schneesturm gestartet und haben doch noch klaren Himmel gefunden. Manchmal sind wir dafür sogar bis auf ein Plateau in Finnland gefahren. Das dauert von Tromsö aus etwa zweieinhalb Stunden und ist bei schneebedeckter Straße wirklich mühsam. Aber wenn man aus Brasilien, Australien oder China angereist ist, um das Nordlicht zu sehen, ist es natürlich ein Katzensprung.

Du kennst besonders gut Land, Leute und Wetter in Tromsö und auf den Lofoten. Hast du dort bestimmte Lieblingsorte? Und wie sind die Menschen dort?

Ich habe knapp fünf Jahre in Tromsö gelebt. Erst als Student und dann als Guide und Reiseleiter. Dadurch konnte ich Land und Leute aus ganz unterschiedlichen Perspektiven kennenlernen. Das war toll! Durch die zahlreichen geologischen Exkursionen und später dann meine Abschlussarbeit über Sedimentäre Prozesse im Bereich der Lofoten habe ich einen besonderen Bezug zur Landschaft. Als Reiseleiter haben mich dann meine Gäste immer wieder daran erinnert, wie es war, das alles zum ersten Mal zu sehen, sodass die Begeisterung kein Stück weit verlorenging.

Die meisten Touren fanden in und um Tromsö statt. Auf den Lofoten waren wir aber auch immer wieder stationiert, in der Sommersaison sogar für mehrere Monate. Die Inseln gelten völlig zu Recht als die schönste Landschaft Norwegens.

Wie die Menschen dort sind? Sehr norwegisch. Die Nordnorweger muss man tatsächlich ein bisschen auftauen. Aber es lohnt sich! Am besten funktioniert es mithilfe der Sprache, die ich im Rahmen des Studiums auch gelernt habe. Die Lofotværinger, wie sich die Einheimischen der Lofoten nennen, sind ziemlich stolz auf ihre schöne Landschaft

Und viele Norweger sind sehr sportlich! Man muss sich daran gewöhnen, dass man beim Joggen hin und wieder fast von einer norwegischen Mama mit Kinderwagen überholt wird. Insgesamt habe ich die Norweger als sehr naturverbunden kennen- und schätzen gelernt.

Was ist deine Lieblings-Wettersituation fürs Fotografieren? Und warum?

Schlechtes Wetter. Strahlend blauer Himmel ist für uns Landschaftsfotografen oft eine mittlere Katastrophe, für mich als Freund der Langzeitbelichtung erst recht. Keine Struktur, nichts, das sich bewegt.

In der Nachtfotografie allerdings ist ein klarer Himmel nicht ganz so dramatisch wie am Tag. Denn die beste Chance auf Nordlichter hat man natürlich, wenn kaum Wolken den Himmel bedecken. Tatsächlich sind es aber auch hier oft die Wolken, die einem Nordlichtfoto das gewisse Etwas verleihen. Sie visualisieren in der Langzeitbelichtung den Wind und verleihen dem Bild so eine besondere Dynamik. Durch die Verzerrung des Ultraweitwinkelobjektivs, das in der Nordlichtfotografie vorzugsweise zum Einsatz kommt, wird der Effekt an den Bildrändern noch verstärkt.

Tagsüber ist definitiv schlechtes Wetter mein Lieblingswetter – oder besser gesagt, die Zeit kurz danach. Wenn der Sturm vorbei ist, aber das Meer noch tobt und entsprechend eindrucksvolle Wellen sich an den Felsen brechen. Wenn die Wolkendecke aufreißt und sich erste Sonnenstrahlen breitmachen – ein Traum.

Was muss man besonders beachten, wenn man mit dir unterwegs ist, um die Nordlichter zu sehen? Was sollte man als gut vorbereiteter Fotograf alles im Gepäck haben?

Am wichtigsten auf einer Nordlichttour sind Geduld und gute Laune. Das Technische kann zunächst hintangestellt werden. Die Natur hat ihre eigenen Regeln und auch erfahrene Guides müssen hin und wieder vor ihr kapitulieren. Davon darf man sich die Stimmung nicht vermiesen lassen. Ich kann mit meinem Wissen die Chancen erhöhen, Nordlichter zu sehen, aber ich kann nicht zaubern. Eine gesunde Erwartungshaltung ist mir sehr wichtig. Dabei muss ich selbst ironischerweise gegen genau das ankämpfen, was ich hier im Pictures Magazin selbst mit verursache: die Fotos. Überall sieht man nur die besten und schönsten Nordlichtbilder, kontrastverstärkt und aufgehellt. Nordlichter können so aussehen. Meistens tun sie das aber nicht. Die Fotos für diesen Artikel habe ich aus Hunderten von Bildern ausgesucht.

Im Klartext: Um auf Anhieb oder bei einem nur sehr kurzen Besuch in der Arktis ein besonders starkes Nordlicht zu erwischen, braucht man schon sehr, sehr viel Glück! Ich vergleiche das gerne mit Fotos von Eisbären: Wenn man „Arktis“ googelt, bekommt man sofort eine Auswahl an eindrucksvollen Eisbärfotos. Den Fotos sieht man nicht an, wie lange der Fotograf dafür in der Kälte unterwegs war oder wie viele Bilder vorher gemacht wurden, als der Bär noch nicht so nah war. Genauso ist es mit Nordlichtern.

Wann ist die beste Zeit?

Die beste Zeit für Nordlichter in Nordnorwegen ist von Anfang September bis Ende März. Nordlichter treten das ganze Jahr über auf, aber nur in der dunklen Jahreshälfte sind sie auch sichtbar. Eine beste Zeit innerhalb dieses Zeitraums gibt es meiner Erfahrung nach nicht wirklich. Daher kann man die Reisezeit ruhig entsprechend der persönlichen Vorlieben wählen. Die meisten Nordlichter werden im Dezember gesichtet. Aber nicht, weil sie da besonders oft leuchten, sondern weil die meisten Menschen dann Urlaub haben und verreisen.

Lass uns technisch werden: Wie genau funktioniert denn die Nordlichtfotografie?

Mit diesen Einstellungen kann man beginnen und sich dann langsam an das gewünschte Ergebnis herantasten: größte Blendenöffnung, ISO 1600, zehn Sekunden Belichtungszeit – dazu die Kamera auf ein Stativ, den Fokus auf „unendlich“, zwei Sekunden Selbstauslöser. Wer mit diesen Einstellungen ein schwarzes Bild erhält, der hat in der Regel den Objektivdeckel noch nicht abgenommen.

Für Anfänger, die sich schon im Internet schlau gemacht haben, ist es oft verwirrend, dass überall unterschiedliche Kameraeinstellungen für Nordlichter empfohlen werden. Daher ist es wichtig zu verstehen, dass diese immer nur ganz grobe Richtwerte für den Anfang sind.

Es macht für die Belichtungszeit und den ISO-Wert einen riesigen Unterschied, ob die größte Blende 1,4 oder 3,5 ist. Daher ist alles Weitere eine individuelle Sache. Es gibt einfach nicht die eine gültige „Nordlichtfotografieanleitung“.

Oft muss ich meine Teilnehmer aktiv dazu ermutigen, höhere ISO-Werte zu wählen, um kürzer belichten zu können. Denn man liest oft, dass der Wert möglichst gering sein soll, um das Rauschen in Schach zu halten. Das ist zwar prinzipiell nicht falsch, es führt aber dazu, dass Workshopteilnehmer oft zu vorsichtig sind und unter den Möglichkeiten ihrer Kamera bleiben. Wer sich perfekt auf eine Nordlichttour vorbereiten möchte, dem empfehle ich Folgendes: Vollformatkamera, lichtstarkes Weitwinkelobjektiv, stabiles Stativ, Wechselakkus, Kopflampe, Daunenjacke, Winterstiefel, warmer Tee, Geduld und Schokolade.

Mit welcher Ausrüstung fotografierst du?

Ich fotografiere mit einer Canon 5D Mark IV, vorher mit der Mark II. Die Nordlichtfotos sind fast ausschließlich mit dem manuellen 14 mm Ultraweitwinkel von Samyang entstanden (Samyang SY14M-C 14mm F2.8). Autofokus, Blendenautomatik und Bildstabilisator werden auf dem Stativ, etwa dem Velbon Sherpa Pro CF mit dem Stativkopf 535 Manfrotto 804RC2, in der Nacht ohnehin nicht benötigt. Wichtig am Stativ ist mir, dass man die Beine auch niedrig aufgebaut weit spreizen kann – einfach als Sicherheit und Kamera und Stativ sollten mit Handschuhen bedienbar sein. Die Beine des Stativs komplett auszufahren ist im arktischen Wind sowiesonicht zu empfehlen. Für Langzeitbelichtungen am Tag und in der Blauen Stunde habe ich zwei Grau-Filter.

Wir haben gesehen, dass du neben „klassischen“ Fotos von Nordlichtern auch gerne abstraktere Bilder machst. Kannst du kurz etwas dazu erzählen?

An der Küste Nordnorwegens entstehen im Winter oft die tollsten Eisformationen. Der Wechsel von Ebbe und Flut führt dazu, dass bei lang anhaltenden Minustemperaturen immer wieder eine dünne Schicht Eis auf Sand, Steine und Seetang gelegt wird, die man dann trockenen Fußes mit der Kamera erforschen kann. Die Eisschichten sind meist hauchdünn und brechen, wenn man drauftritt – ein schönes Geräusch! Mein Stativ halten sie gerade so aus. Stundenlang habe ich dort nach interessanten Mustern gesucht und fotografiert, bis die Flut sich den Bereich wiedergeholt und die Kunstwerke somit zu kurzlebigen Unikaten gemacht hat. Zuhause habe ich dann angefangen, in der Bildbearbeitung mit den Farben zu spielen, erst nur mit Blau und den Kontrasten, später dann auch mit weiteren Farben. So weit, so normal! Dann war der Winter aber leider vorbei. Also habe ich angefangen, zu schummeln – und zwar in der Gefriertruhe. Mit Steinen oder Muscheln habe ich in Plastikdosen Unter- beziehungsweise Hintergründe gelegt und das Ganze mit Wasser eingefroren.

Sebastian Worms

Den Geologen zog es schon früh nach Norwegen, wo er Nordlichter jagt und zauberhafte Ice Art kreiert.

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