von Wolfgang Baus
© Fotos Wolfgang Baus
Objektive, die einem Bildwinkel von etwa 50 Grad abbilden, werden allgemein als Normalobjektiv bezeichnet. Die entsprechende Brennweite variiert je nach Aufnahmeformat zwischen 25 mm beim MFT-Format, 35 mm bei APS und geht hoch bis zu 63 mm beim heute gebräuchlichen Mittelformat. Im häufig – als Referenz – benutzten KB-Vollformat liegt sie zwischen 40 mm und 55 mm und bietet viele Facetten, die wir heute einmal näher beleuchten.
Der ein oder andere mag sich an Zeiten erinnern, als standardmäßig Kamera-Sets aus Gehäuse und Normalobjektiv bestanden. Es waren nicht nur finanzielle Aspekte, die Hersteller dazu veranlassten, solche Kombinationen anzubieten, es waren durchaus auch technische Gründe.
Objektive, die Geschichte schreiben
Schon in der Historie der Kamerafertigung wurden Normalobjektive fest in die Kameras eingebaut. Sie waren klein und auch bei geringem Aufwand mit einer sehr guten Abbildungsleistung zu fertigen. Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gelang es der Firma Carl Zeiss Jena, mit dem Tessar ein Objektiv zu konstruieren, welches für damalige Verhältnisse eine ausgesprochen gute Leistung bot. Vier Linsen reichten aus, um auch hohe Ansprüche zu erfüllen und Abbildungsfehler, wie beispielsweise sphärische Aberrationen (Unschärfen) und chromatische Aberrationen (Farbfehler), zu korrigieren. Das als Adlerauge bekannte Objektiv war soweit perfekt und ist noch heute legendär. Allerdings hatte es seine Grenzen durch die Lichtstärke, die normalerweise um und bei f/4.5 lag. Um Objektive mit höheren Lichtstärken in hoher Qualität anbieten zu können, wurden dann die ebenfalls bedeutenden Sonnar-Typ Objektive mit einer Lichtstärke von f/2.8 entwickelt.
Die beiden Begriffe Sonnar und Tessar werden bis heute von Carl Zeiss für verschiedene Objektivkonstruktionen verwendet. Die Objektivtechnik hat sich basierend auf diesen beiden Objektivtypen kontinuierlich weiterentwickelt und steht uns heute in vielen Formen und Varianten zur Verfügung.
Parallel zu den verschiedenen Kameraklassen haben sich in den 70er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts auch verschiedene Kategorien bei den Standardobjektiven etabliert. So wurden die vergleichsweise günstigen Kameras aus der damaligen DDR-Fertigung typischerweise mit einem f/2.8 Objektiv ausgestattet, während die Einsteigerkameras aus japanischer Herstellung meist schon mit einer Lichtstärke von f/2.0 ausgeliefert wurden. Die Profis und Amateure wählten für ihre Modelle der Spiegelreflex-Oberklasse gern 50 mm Objektive mit Lichtstärken von f/1.4 oder in Ausnahmefällen sogar mit f/1.2.
Der Preis orientierte sich überwiegend an der Lichtstärke: je größer die Blende desto höher der Preis. Die Bildqualität war aber häufiger auch bei den lichtschwächeren Objektiven mit f/1.7 oder f/1.8 nicht zu verachten. Sie galten oft als Geheimtipp. Heute sind genau diese Objektive wieder zunehmend beliebter. An den modernen Digitalkameras bieten sie einen einmaligen und interessanten Bildstyle.
Dass aber auch die Oberklasse noch zu steigern ist, zeigt Leica sehr eindrucksvoll mit dem Noctilux, welches 1975 bereits mit einer Lichtstärke von f/1.0 gefertigt wurde und aktuell mit einer Lichtstärke von f/0.95 angeboten wird. Mit einer unverbindlichen Preisempfehlung des Herstellers von 10.900 Euro nähern wir uns allerdings der Kleinwagenklasse. Da erscheint das Nikon Noct mit vergleichbarer Lichtstärke für 8.999 Euro fast schon wie ein Schnäppchen.
Fotografen nutzen gern die Vorteile einer großen Blende. Denn diese ist ein wichtiger Punkt bei der Bildgestaltung. Auch wenn die hohe Lichtstärke bei wenig Licht sehr hilfreich ist, ist es die geringe Schärfentiefe, die den großen Vorteil ausmacht. Das Freistellungspotenzial ist unschlagbar. Und damit sind wir bei einer wichtigen Anwendung für diesen Objektivtyp. Ohne näher auf die physikalischen Grundlagen einzugehen, können wir davon ausgehen, dass die Schärfentiefe abnimmt, je größer die Blende wird. Und diese liegt beim Noctilux bei gerade mal fünf mm bei offener Blende und einer Entfernung von zweieinhalb Meter. Im Vergleich dazu liegt der Schärfentiefenbereich bei einem normalen Objektiv mit f/1.4 55 mm bei zehn mm und mehr. Auch wenn der geringe Schärfenbereich durchaus ein wertvolles Gestaltungsmittel ist, so leidet die Abbildungsqualität in puncto Vignettierung, beziehungsweise Randlichtabfall. Leica gibt in den technischen Daten für das Noctilux bei offener Blende einen Lichtabfall in der Spitze von 3,2 Blendenstufen an.
Von Zwergen und Riesen
Annähernd frei von Abbildungsfehlern und eine perfekte Abbildungsleistung –mit diesem Versprechen bieten viele Hersteller eine neue Art von Hochleistungsobjektiven mit den Rahmendaten f/1,4 50 mm an. Bei Sigma sind es die Objektive mit dem Zusatz „Art“, während Zeiss so wohlklingende Namen wie Milvus und Otus verwendet oder Pentax dieses Objektiv mit einem Stern kennzeichnet. Die aufwendigen Konstruktionen der verhältnismäßig großen Objektive haben durchaus eine technische Bewandtnis. Eine hohe Eingangsblende stellt, wie schon die Zeiss Konstrukteure vor über 100 Jahren feststellten, eine besondere Herausforderung dar. Um beispielsweise vom Rand bis zur Mitte optimal abzubilden, sind die Frontlinsendurchmesser sehr groß. Aber nicht nur die enormen Dimensionen, sondern auch die vielen Linsenelemente, die zur Reduktion von Abbildungsfehlern verbaut werden, verursachen das hohe Gewicht und den hohen Preis dieser Objektive. Für viele Anwendungen, wie in der Reportage-, Werbe-, oder Modefotografie, kann ein solches Schmuckstück schon mal der Grund dafür sein, dass Fotografen speziell hierfür ein passendes Kameragehäuse anschaffen.
Aber so etwas ist eher der Ausnahmefall und ein absoluter Luxus für Fotoenthusiasten. Oft werden wir die Normal-Standardobjektive aufgrund des leichten Gewichts und der geringen Abmessungen anschaffen. Und auch wenn sie nicht so aufwendig konstruiert sind wie oben beschrieben, bietet jeder Hersteller hervorragende Objektive in dieser Klasse an. Sie sind eher kompakt, nicht so groß wie die Lichtriesen, aber auch keine Zwerge, wie die als Pancake bezeichneten kompakten Lösungen. Als Beispiele gelten hier das 40 mm Objektiv von Canon, das 43 mm von Pentax oder aber auch das Fujinon 27 mm. Rein rechnerisch kommen diese besonders kleinen Objektive dem ermittelten Optimalwert der Brennweite von 43 mm besonders nahe. Sie werden mit einer Lichtstärke von f/2.8 angeboten und schließen damit den Kreis zu den eingangs erwähnten Sonnar-Objektiven.
Egal ob wegen der Lichtstärke, der Größe, des Gewichts oder des Preises – ich halte diese Brennweite für sehr spannend. Es ist eine fotografische Herausforderung, Bilder nur mit dieser einen Brennweite zu gestalten. Kein Zoom, kein Objektivwechsel und volle Konzentration auf den natürlichen Bildwinkel bei der Bildgestaltung mögen zunächst etwas gewöhnungsbedürftig klingen, bieten aber einen besonderen Reiz und bereiten sehr viel Spaß. In Kombination mit dem passenden Gehäuse, einer entsprechend kleinen Kamera, wie der Olympus PenF, der Fujifilm ProX, der Leica M oder einer kompakten SLR- beziehungsweise Systemkamera, haben Sie immer eine kleine und leistungsstarke Kombination am Start, bei der Sie schnell feststellen werden, dass Sie Bilder mit einem ganz eigenen Stil und einem ganz speziellen Look kreieren.
Die Brennweite und der Cropfaktor …
Die wichtigste Angabe auf einem Objektiv ist die Brennweite. In Millimeter ausgedrückt gibt sie dem Fotografen die Information über den Bildwinkel beziehungsweise den Bildausschnitt. Die Brennweite ist ein physikalischer Wert. Er errechnet sich aus der Distanz zwischen Objektiv-Hauptebene und der Aufnahmeebene, also dem Sensor oder Film. Sie ist ein unveränderlicher Wert und unabhängig von der verwendeten Aufnahmegröße.
Der Kleinbildfilm mit seinem Format 36 x 24 mm ist das älteste und verbreitetste Aufnahmeformat, und jeder Fotograf weiß die verschiedenen Brennweitenwerte entsprechend einzuordnen. Wenn wir bei gleicher Brennweite das Aufnahmemedium verändern, verändert sich auch die Bildwirkung und der Bildwinkel und der Bildausschnitt werden größer oder kleiner. Speziell mit dem Aufkommen der Digitalkameras und den verschiedenen Sensorgrößen ist man übereingekommen, zur besseren Vergleichbarkeit die Brennweite bei Kleinbildformat als Referenzinformation zu nutzen.
Um die Aufnahmegrößen in ein Verhältnis zueinander setzen zu können, nehmen wir die Diagonale des Aufnahmeformats zur Hilfe. Bei 36 x 24 mm Aufnahmegröße beträgt diese circa 43 mm, bei 23,5 x 15,6 mm (APS-C) sind es circa 28 mm und bei MFT mit 17,3 x 13,6 mm schließlich 22 mm.
Hieraus ergibt sich dann der Cropfaktor, der bei Kleinbild zu APS 1:1,5, und bei Kleinbild zu MFT 1:2, beträgt. Um die wirksame Brennweite zu errechnen, muss die angegebene Brennweite mit anderthalb bei APS-C und mit zwei bei MFT multipliziert werden, um die Information über die Brennweitenwirkung in Bezug auf das Kleinbildformat zu erhalten.
So kommt es, dass trotz unterschiedlicher Brennweite alle der folgenden Beispiel-Objektive den gleichen Bildausschnitt zeigen:
M.ZUIKO DIGITAL ED 25mm F1.2 PRO
FUJINON XF35mmF1.4 R
HD PENTAX-D FA* 50mm F1.4 SDM AW
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