von Wolfgang Baus

© Fotos Wolfgang Baus

In unserer  Serie über den kreativen Einsatz verschiedener Brennweiten haben wir im ersten Teil über die Normalobjektive gesprochen. In dieser Folge sehen wir uns einmal den Weitwinkelbereich näher an.

Während meiner fotografischen Anfangszeit haben mich diese Reportagefotografen fasziniert, die auf allen wichtigen Veranstaltungen, mit mehreren Kameras behängt, versucht haben, Zeitdokumente zu erstellen. So einer wollte ich auch sein, und so gehörte zu meiner ersten Ausrüstung eine Kamera, ein 35 mm, ein 50 mm und ein 135 mm Objektiv. Dazu ein passender Alukoffer – und schon war ich fast ein Profi.

Da war aber immer noch ein anderer Typus Fotograf, eher unauffällig und irgendwie eingetaucht in das Geschehen. Es hat lange gedauert, bis ich diesen Typ von Fotografen, den jeder von uns kennt, richtig zuordnen konnte – diesen Reportagefotografen, der nichts anderes benötigte, als ein Kameragehäuse mit einem 35 mm Objektiv. Es eröffnet, das war mir schnell klar, viele Gestaltungsmöglichkeiten, stellt frei bei offener Blende, bringt eine gute Schärfentiefe bei kleiner Blende, bietet einen großen Bildwinkel für mehr Dynamik in der Bildgestaltung (Bild 20) und ist einfach, klein und kostengünstig in der Fertigung. Dieses eine Objektiv reicht ihm völlig aus, um seine Geschichten in Bildern zu erzählen.

 

Aber nicht nur deswegen kommt der 35 mm Brennweite eine besondere Rolle zu. Viele von uns kennen die legendären Tessar- und Sonar-Objektive, die die äußere Erscheinung der legendären Rollei 35 Kameras prägten. Kameras, die genauso in den Geschichtsbüchern stehen, wie die M-Leicas, die ausgestattet mit 35 mm Objektiven die Reportagefotografie revolutionierten. Später kamen dann die Kleinbild-Minoxkameras auf den Markt, die mit einer Klappe ausgestattet in eine Zigarettenschachtel passten. Und auch heute noch ist das 35 mm Objektiv Standard bei Digital-Kompaktkameras mit Festbrennweite. Klein, handlich und unauffällig sind sie immer noch begehrte Werkzeuge für die Straßenfotografie. Unauffällig bei der Benutzung und sehr anspruchslos in der Handhabung liefert diese Standardbrennweite meist perfekte Bilder.

Das, was lange als Standard galt, bekommt langsam aber sicher Konkurenz beim  Wettbewerb um die Gunst der Reportagefotografen. Ricoh GR III (APS äquivalent zu KB) oder Leica Q2 sind hier mit 28 mm Brennweite die Vorreiter. Für viele Fotografen sind die paar Millimeter Differenz zwischen 35 mm und 28 mm ein Riesenunterschied in der Gestaltungsvielfalt. Denn kleine Änderungen der Brennweite haben im Weitwinkelbereich eine viel größere Wirkung als bei Teleobjektiven. Und weil mit 28 mm entscheidend mehr auf das Bild kommt, ist dies auch der Grund dafür, dass das riesige Angebot an Zoomobjektiven in diesem Bereich mit dieser Brennweite beginnt. Im MFT-Format sind es dann 14-100 mm, bei APS-C sind es 18-55 mm oder 18-135 mm und im Kleinbildbereich schließlich zwischen 28-70 mm bis hin zu 28-200 mm oder gar 28-300 mm, die heute angeboten werden. Es ist zwar praktisch, einen so großen Brennweitenbereich abzudecken, aber als Festbrennweite kann das 28 mm Objektiv mit hoher Bildqualität, geringen Abmessungen und wenig Gewicht punkten. Es ist bei sehr guter Abbildungsqualität noch sehr kompakt, mit wenig Aufwand zu konstruieren und einfach in der Handhabung. Es ist empfehlenswert für Innenraumaufnahmen, wie für Events, beispielsweise Hochzeiten, denn es passt meist perfekt zu den eingebauten oder kleinen Kompaktblitzgeräten, die diesen Bildwinkel gerade noch ausleuchten. Neben der Standard- ist dies dann die Universalbrennweite.

Ein bisschen Physik muss sein

Auch wenn der Schritt auf 24 mm nur sehr klein aussehen mag, ist der Unterschied in der Bildwirkung deutlich sichtbar. Aber je größer der Bildwinkel wird, desto aufwendiger wird auch die Konstruktion, denn es nehmen Randunschärfen, Verzeichnungen und Chromatische Aberrationen zu. Wenn wir jetzt noch Wert auf eine große Lichtstärke legen, sind die Baugröße und ein entsprechender Preis nicht verwunderlich.

Ungeachtet dessen setzen sich Zoomobjektive zwischen 24-70 mm und 24-105 mm im Kleinbildbereich, 16-50 mm und 16-85 mm im APS-C-Bereich und 12-40 mm bis 12-100 mm im MFT-Format immer mehr durch. Dies ist auch absolut nachvollziehbar, denn nach meinem Geschmack beginnt die Weitwinkelfotografie erst in diesem Bereich und wird zwischen 15 mm und 24 mm erst so richtig interessant.

Von den Herausforderungen bei der Konstruktion hatte ich schon berichtet. Wer für sein Spezialgebiet, wie zum Beispiel Landschafts- oder Architekturfotografie Objektive in diesem Brennweitenbereich benötigt, ist aufgrund des geringeren Gewichts und der besseren Qualität mit einer Festbrennweite wahrscheinlich besser bedient. Für die meisten Bilder in diesem Artikel habe ich Zoomobjektive verwendet, musste aber bei der Auswahl feststellen, dass ich viele Bilder mit immer der gleichen Brennweite aufgenommen habe, und das, obwohl die Bilder sehr unterschiedlich sind. Meistens reicht mir die 24 mm Brennweite aus.

Aber es gibt Situationen, da muss ich ganz dicht ran. Man möge mir verzeihen, aber wenn ich Fahrzeuge auf einem Auto-Oldtimertreffen oder Dampflokomotiven beim Halt im Bahnhof fotografieren will, um nur zwei Bespiele zu nennen, stehe ich doch oft vor der Herausforderung, dass da immer Menschen sind, die nur mal schnell ein Selfie mit dem seltenen Stück machen wollen, dann noch ein Selfie mit dem Sohn, der Mutter, der Tochter … Ein weiser Mann sagte mal sinngemäß: Wenn dein Bild nichts geworden ist, warst du nicht dicht genug dran. Da mag etwas dran sein, und deswegen kann es mir oft nicht weitwinklig genug sein.

Aber, speziell bei der Architekturfotografie und unabhängig davon, ob wir uns in den Hochausschluchten Frankfurts oder in den Alststadtgassen von Celle, Lüneburg oder Rothenburg o.d.T. aufhalten, oft stoßen wir mit dem Rücken an die unserem Motiv gegenüberliegende Wand und es geht nicht weiter zurück. Da verschwenken wir einfach die Kamera ordentlich nach oben und alles passt perfekt drauf. Auch wenn es nicht anders geht, ist es ungünstig, denn auf diese Weise entstehen so genannte stürzende Linien. Wer Architekturfotografie anspruchsvoll betreibt, kennt diese Probleme. Gebäude sehen aus, als ob sie nach hinten wegkippen würden. Oder Räume fallen in sich zusammen. Oft geht es nicht anders, aber besonders schön sieht es nicht aus. Die Lösung liegt in einem erhöhten Standpunkt. Bei geringen Höhen reicht oft schon eine Leiter aus, bei höheren Objekten ist eine Aufnahme von einem gegenüberliegenden Gebäude oft eine gute Lösung.

Einige Hersteller bieten für solche Aufgaben sogenannte Tilt-/Shift-Objekitve an. Diese verfügen über die Option, die optische Achse zu verschieben, um stürzende Linien zu vermeiden. Für Lichtbildner, die die Archtitekturfotografie professionell betreiben, sind diese Objektive unverzichtbar. Aber wenn es uns nicht gelingt, das Objekt perfekt abzubilden, sollten wir versuchen zu überzeichnen. Wie bei den Oldtimern oder bei den Lokomotiven, gehen wir einmal richtig dicht ran.

Und hier spielen dann die extremen Brennweiten, die eben noch schwer in der Handhabung und eher enttäuschend im Hinblick auf das Bildergebnis waren, einen ganz besonderen Charme aus. Ganz steil nach oben aus ganz tiefer Perspektive oder vom dominanten Vordergrund in die Tiefe des Bildes fotografiert, ergibt sich so eine ungeheure Bilddynamik. Auf diese Art und Weise entdeckt man die ansonsten oft langweilig wirkende Archtikturfotografie ganz neu. Und wenn Ihnen künftig Fotografen auffallen, die auf dem Rücken liegend vermeintlich langweilige Glasfassaden fotografieren, können Sie ihnen wissend zulächeln.

Aber auch Landschaftsaufnahmen sehen schnell flach und langweilig aus. Frei nach dem Motto „Vordergrund macht Bild gesund“ sollten Ankerpunkte in der Bildgestaltung geschaffen werden. Am Wasser, wie am Darßer Weststrand, liegen gern ganz dekorativ Baumstämme oder Äste herum. Wenn kein Schiffchen, kein Steg und keine anderen Gegenstände zur Bildgestaltung vorhanden sind, können auch Kies, Muscheln und Ähnliches als Vordergrund für ein schönes Sonnenuntergangsbild dienen. Hier liegt das Geheimnis oft in einem tiefen Kamerastandpunkt, bei dem wir dann, dank Klappdisplay, die Kamera knapp über der Wasseroberfläche ausrichten.

Und auch Bergpanoramen oder Heidelandschaften werden spannender, wenn das Auge etwas zum Festhalten im Bild findet. Hier spielen stürzende Linien meist keine Rolle, aber Bäume, die zur Seite kippen sehen auch nicht schön aus. Es ist also immer darauf zu achten, dass die Kamera in der Waage ist. Vielfach sind Wasserwaagen im Display zu sehen, um die Ausrichtung zu vereinfachen. Nutzen Sie diese unbedingt.

Konzentration bei der Aufnahme

Wie schon erwähnt, gilt es, Weitwinkelobjektive möglichst verzeichnungsfrei zu fertigen. Bei Fisheye Objektiven (Bild  101, 103) ist dies allerdings gewollt. Sie fallen meist durch eine Frontlinse in Form einer Halbkugel auf und bilden einen Bildwinkel von bis zu 180° ab. Es gibt zu diesen Festbrennweiten auch Zoomobjektive, die variabel in der Verzeichnung sind. Diese speziellen Objektive sind nicht unbedingt für den Alltagsgebrauch gedacht, aber zum Beispiel für Panoramaaufnahmen bestens geeignet (Bild 120). Denn viele Einzelaufnahmen, die damit aufgenommen werden, sind hervorragendes Ausgangsmaterial, um sie mit Photoshop und Co. zu faszinierenden Panoramabildern mit hoher Detailtreue zu verarbeiten.

Hier, wie auch bei der Bildoptimierung sind Bildbearbeitungsprogramme in der Weitwinkelfotografie recht hilfreich, denn wie schon erwähnt treten hier besonders häufig Bildfehler auf. Vielfach werden diese schon in der kamerainternen Bildverarbeitung verringert oder eliminiert, aber besser und nachhaltiger kann dies bei der RAW-Entwicklung geschehen. Programme wie beispielsweise Adobe Lightroom haben die Profile vieler Objektive hinterlegt und können deren Schwächen durch eine Automatikfunktion beseitigen. In solchen Programmen können wir aber auch Verzeichnungen und stürzende Linien korrigieren. Dafür ist es allerdings notwendig, ordentlich an den Pixeln herumzuziehen. Hierfür sind RAW-Dateien besser geeignet. Sie sind noch in der ursprünglichen Form und noch nicht durch Bildoptimierungsalgorithmen verändert worden. Einfach gesagt: Die Pixel sind noch nicht verbogen und wir können Korrekturen auf oberster Ebene vornehmen.

Auch wenn wir viele Möglichkeiten haben, unsere Bilder später am Computer zu optimieren, sollten wir den Ehrgeiz haben, gleich so zu fotografieren, dass das Fotovergnügen nicht durch lange Computerarbeit beeinträchtigt wird.

Wir hoffen, Ihnen einige Tipps zum Fotografieren gegeben zu haben und wünschen Ihnen viel Spaß dabei, mal wieder bewusst mit dem Weitwinkelobjektiv die Welt zu entdecken, die ja im Prinzip direkt bei Ihnen vor der Haustür beginnt.