Bunte Lichter blitzen, Qualm steigt in dicken Schwaden auf und verteilt sich über dem aufgeregten Publikum, der Gitarrist fegt über die Bühne – können Sie dieses Bild hören? Synästhesie ist das Stichwort bei der Konzertfotografie. Die Konzertfotografin Christina Kania gibt wertvolle Tipps fürs Konzert hinter der Kamera.
von Jamari Lior
Wenig Licht, viel Action – das ist das typische Los des Konzertfotografen. Keine einfache Ausgangssituation also, dafür bieten sich ihm im Rahmen von Konzertveranstaltungen aber auch vielfältige, stimmungsreiche Motive. Doch welche Ausrüstung braucht man und auf was genau sollte man achten, damit es einem als Konzertfotograf auch gelingt, diese adäquat einzufangen und möglichst authentisch abzubilden?
Eine Kamera mit drei Objektiven kann ich in einem engen Graben effizienter bedienen als drei Kameras mit unterschiedlichen Brennweiten.
Equipment
Zunächst einmal ist die Auswahl des richtigen Equipments von entscheidender Bedeutung. Um auch bei wenig Licht möglichst wenig Rauschen auf den Bildern zu haben, brauchen Sie möglichst lichtstarke Objektive – „mindestens Blende 2.8 oder besser noch Blende 1.4“, empfiehlt Christina Kania und rät, dann auch mit Offenblende zu fotografieren. „Im Zweifel sollte man jedoch lieber die ISO hoch einstellen und damit je nach Kamera auch höheres Rauschen als unscharfe und damit unbrauchbare Bilder zu riskieren.“
Welche Brennweiten Sie auswählen sollten, hängt vom Konzert und Ihren Präferenzen ab. Oftmals empfehlen sich beim Fotografieren kleinerer Konzerte Brennweiten zwischen 24 und 75 Millimetern. Wichtig: Streulichtblenden nicht vergessen. Zwar bringen diese den Nachteil mit sich, dass man damit aufgrund des länger bauenden Objektivs leichter gegen umstehende Personen stößt, allerdings bieten sie im Gedränge auch Schutz und sorgen bei zum Teil starkem Gegenlicht dafür, dass nicht zuviel Streulicht in die Linse fällt.
Abgesehen davon gilt: Nehmen Sie möglichst wenig Equipment mit: „Eine Kamera mit drei lichtstarken Festbrennweiten kann ich in einem engen Graben effizienter bedienen als drei Kameras mit unterschiedlichen Brennweiten“, meint Christina. „Bei jeder der drei Kameras müssten ja die entsprechenden Einstellungen vorgenommen werden – das dauert meist länger als ein Objektivwechsel, wenn man das Objektiv beispielsweise griffbereit in einem Köcher am Gürtel dabei hat“, so die Konzertfotografin weiter.
Bei kleineren Konzerten unbekannterer Bands existieren übrigens meist weniger Vorgaben.
Zehn Minuten
Zehn Minuten, finden Sie, sind nicht sonderlich viel Zeit für ein Fotoshooting? Leider ist genau das aber oft alles, was Sie bekommen, denn meist darf man nur während der ersten drei Songs fotografieren – das Zeitfenster beläuft sich dann auf ebendiese zehn Minuten. Umso mehr Druck liegt auf Schultern des Konzertfotografen: Merken Sie, dass Sie auf der falschen Seite stehen oder ein unpassendes Objektiv angeschraubt haben, kostet es wertvolle Zeit, die Fehler zu korrigieren. „Nehmen Sie möglichst viele Konzerte mit, um Erfahrungen zu sammeln“, empfiehlt Christina. „Und seien Sie nicht frustriert, wenn Sie beim ersten Mal keine brauchbaren Bilder in den Kasten bekommen haben.“
Der Grund für das enge Zeitlimit liegt häufig in der Eitelkeit der Künstler: Bei den ersten drei Songs sitzt das Styling noch gut und sie sind noch nicht allzu verschwitzt. Gerade bei größeren Konzerten werden nicht nur umfangreiche Sound-, sondern auch Lichtproben durchgeführt. Der Vorteil:
Das Bühnenlicht passt von Anfang an, sodass es „foto-vorteilhafter“ wirkt – aber oft auch nicht unbedingt spannender.
„Bei kleineren Konzerten weniger bekannter Bands existieren übrigens meist weniger Vorgaben“, berichtet Christina. Ihr Tipp: Insbesondere im Punkrock-/Hardcore-Bereich dürfen Sie sich auch häufiger einmal während des gesamten Konzerts fotografisch austoben.
Akkreditierung
Fragen Sie auf jeden Fall vor dem Konzert nach, ob Sie fotografieren dürfen. Größere Veranstalter haben hierzu auch Erläuterungen auf ihrer Website.
Falls Sie Mitglieder einer Band persönlich kennen, dürfen Sie vielleicht unkompliziert mitfotografieren oder sogar bei den Proben mit etwas mehr Ruhe Ihre Bilder machen.
Fotostandort
Bei vielen Konzerten bleibt Ihnen die freie Wahl des Standorts teilweise erspart: Sie haben sich als Fotograf im Fotograben aufzuhalten, also in kurzer Distanz zu den Musikern zwischen Bühne und Publikum. Innerhalb des Grabens eignet sich ein Standort links an der Bühne meist am besten zur Aufnahme stimmunsgvoller Konzertfotos, da die meisten Gitarristen und Bassisten Rechtshänder sind.
Wenn sich alle Kollegen mittig vor der Bühne einen Schwertkampf mit ihren Brennweiten liefern, schauen Sie sich abseits vom Pulk an, welche interessanten Perspektien sich bieten.
Wenn Sie aus dem Publikum heraus fotografieren dürfen, brauchen Sie manchmal Ellenbogen und ein dickes Fell. Christina hat schon einige Konflikte am eigenen Leib miterlebt, bei denen Fans gegen Fotografen gewettert haben.
Manchmal dürfen oder sollen Sie auch von der Bühne aus fotografieren: Hier können Sie die Stimmung des Konzerts aus der Sicht des Musikers einfangen – eine Sicht, die gewöhnlichen Konzertbesuchern versperrt bleibt und diesen damit neue Informationen liefert. Wenn Sie allerdings primär die Band in Szene setzen möchten, ist der Standort auf der Bühne natürlich ungünstig, da Sie die Musiker auf diese Weise nur von der Seite erwischen – es sei denn, es handelt sich um besonders agile Zeitgenossen, die raumgreifend über die Bühne wirbeln.
Für Konzertfotografen ist je nach Musikstil auch ein anderer Bereich vorgesehen, von dem aus sie fotografieren können. So gibt es bei Hardcore-Konzerten oft gar keinen Fotograben, da keine Barriere zwischen dem Künstler und dem Publikum bestehen soll. Daher halten sich Fotografen hier häufig direkt am Bühnenrand, also neben den Musikern auf.
Ich habe den Eindruck, dass der Respekt vor Fotografen bei jüngerem Publikum oftmals geringer ist.
Musikstile und Publikum
Je nach Musikstil spielt sich natürlich auch unterschiedlich viel Action auf der Bühne ab: Am wenigsten geschieht diesbezüglich tendenziell im „Singer-/Songwriter“-Bereich: Der Sänger sitzt oder steht meistens mit seiner Gitarre hinter dem Mikrofon und bietet dem Konzertfotografen kaum action- und abwechslungsreiche Posen an. Allerdings ergibt sich bei diesen Konzerten oft eine gute Möglichkeit, emotionale Porträts aufzunehmen. Die Gesichter sind in der Regel auch gut ausgeleuchtet. „So gelingt es, dem Betrachter die Stimmung mit engeren Bildausschnitten zu vermitteln“, erläutert Christina. Hierfür sollte man als Konzertfotograf ein lichtstarkes Zoom-Objektiv, nach Möglichkeit ab 75 Millimetern, dabeihaben.
Bei Rock-, Indie-, Hardcore- und Punk-Konzerten beispielsweise gehen die Bewegungen dagegen sehr viel schneller vonstatten. Als Fotograf braucht man dabei kurze Verschlusszeiten und oft größere Bildausschnitte, um keine Körperteile anzuschneiden. Der exakte Bildausschnitt – sich an den Regeln von Goldenem Schnitt & Co. orientierend oder bewusst dagegen verstoßend – sollte später bei der Bildentwicklung und -bearbeitung festgelegt werden.
Vom Musikstil hängt häufig auch das mitunter sehr unterschiedliche Verhalten des Publikums ab. Konzertfotografin Christina Kania hat „den Eindruck, dass der Respekt vor Fotografen bei jüngerem Publikum oftmals geringer ist. Hier hat sowieso jeder sein Handy dabei und versteht nicht, wozu man noch Fotografen braucht. Außerdem sind jüngere Musikfans oft ziemlich fanatisch. Ältere hingegen haben schon mehr Konzerte erlebt – und das Alter, in dem man besonders intensiv für Bands schwärmt, schon hinter sich gelassen. Und so erlebt man bei älterem Publikum oft einen viel relaxteren Umgang miteinander und wird wohlwollend vorbeigelassen. Generell ist es am einfachsten zu kommunizieren, dass man ohnehin nach drei Songs verschwindet und die Sicht auf das Bühnengeschehen wieder freigibt.“
Motive
Was sollten Sie als Konzertfotograf stets im Fokus haben und wann sollten Sie am besten abdrücken?
Musiker
Wenn Ihr Wunschmotiv der Sänger ist, achten Sie darauf, ob er sein Mikro typischerweise – so wie die meisten Sänger – mit der rechten oder doch mit der linken Hand umfasst. Über schon existierende Bandfotos im Netz finden Sie das schnell heraus. Bei Rechtshändern ist eine Position von leicht links sinnvoll, damit das Mikrofon nicht die Sicht auf das Gesicht des Sängers verdeckt. Allerdings kann das Mikrofon je nach Ausleuchtung auch einen für Porträt-Aufnahmen ungünstigen Schlagschatten auf das Gesicht werfen. In diesem Fall empfiehlt sich eine eher seitliche Position. Oder: Sie müssen den richtigen Moment abpassen, in dem der Sänger sich vom Mikrofon abwendet.
Gitarristen sind ebenfalls meist Rechtshänder, sodass auch für sie ein Kamerastandpunkt links vom Musiker optimal ist. Kennen Sie die Songs „Ihrer“ Band? Bei Gitarrensoli tritt der Gitarrist oft nach vorne und Sie haben die beste Sicht auf ihn. Wissen Sie vorher, wann das geschieht, können Sie sich entsprechend rechtzeitig in Position bringen. Ebenso wie die Musik einer bestimmten Struktur aus Strophe, Refrain und Bridge folgt, so wiederholen sich nämlich auch die Bewegungen der Musiker häufig nach dem gleichen Schema: Springt der Gitarrist nach dem ersten Refrain in die Luft, stehen die Chancen gut, dass er diese Aktion beim zweiten Refrain wiederholt.
Schlagzeuger werden häufig von Fotografen übersehen – auch, weil sie in den meisten Fällen im Hintergrund der Bühne positioniert sowie schlechter beleuchtet sind. Durch ihr Instrument bedingt sind sie außerdem, anders als Gitarristen oder Bassisten, auch dazu gezwungen, fortwährend an dieser Position zu verbleiben. Dabei sind Schlagzeuger keineswegs langweilg oder statisch: Von der Seite aus können Konzertfotografen die blitzschnellen Bewegungen der Drumsticks aufnehmen – bewusste Bewegungs-Unschärfe ist hier natürlich erlaubt. Außerdem kann das Schlagzeug seinen Artisten auch wunderbar einrahmen.
Details
Ein Konzert bietet zahlreiche atmosphärische Details, die oftmals einfacher und mit mehr Ruhe fotografiert werden können als die Akteure auf der Bühne. So können zum Beispiel auch Details der Dekoration eine Aufnahme wert sein: kleine persönliche Elemente, welche die Musiker auf die Bühne mitgenommen haben, zum Beispiel ein altes Stofftier als Glücksbringer am Schlagzeug oder eine bemalte Gitarre, die an der Bühnenseite auf ihren Einsatz wartet. Natürlich bieten sich auch dynamische Details an, etwa die Hände des Bassisten oder Gitarristen an den Saiten. Scheuen Sie sich auch nicht, Bühnenelemente wie Scheinwerfer, Traversen, Monitore, Kabel mit in Bilder der Musiker zu integrieren. Bei offener Blende liefern diese mitunter schöne bokehartige Unschärfe-Effekte.
Publikum
Emotionale Momente bietet auch das Publikum, wenn die Fans bei einem Song mitsingen, die Arme in die Höhe reißen, Crowdsurfen oder gar die Bühne entern. Auch die Interaktion mit den Musikern ergibt spannende Fotomotive, wenn ein Musiker sich zu seinen Fans hinunterbeugt oder Hände abklatscht zum Beispiel. Leider erlebt – und erwischt – man solche Momente aber zugegebenermaßen nur äußerst selten während der ersten drei Songs, da es zu diesem Zeitpunkt noch „gesitteter“ zugeht.
Lichtfarben
Bei den meisten Konzerten wird es bunt. Das betrifft vor allem das Licht, denn hier kommen meist Scheinwerfer mit knalligen Farben zum Einsatz. Für Sie als Konzertfotograf stellt das eine besondere Herausforderung dar.
Rotes Licht
Rot steht für Leidenschaft, Action, Aggression und Stärke. Synästhetisch betrachtet ist Rot = laut. Allerdings erscheinen Gesichter in rotem Licht oft maskenhaft und unnatürlich. Um diesen Effekt möglichst gering zu halten, können Sie in der Bildbearbeitung ein wenig tricksen: Die Einstellung des Weißabgleichs auf 2000 bis 2700 K, eine sehr kalte Farbtemperatur also, tritt dem Effekt ein wenig entgegen, ebenso die Korrektur des Grün-Rot-Reglers in Richtung Grün. Im Notfall hilft auch eine Schwarz-Weiß-Konvertierung.
Blaues Licht
Blau gilt an sich als eine ruhige Farbe, im Bühnenkontext ist sie allerdings spannungsgeladen: Blaues Licht lässt das Geschehen auf der Bühne oft ein wenig futuristisch wirken. Gerne wird blaues mit grünem Licht kombiniert, um diesen Effekt noch zu verstärken. Den Effekt des Komplementärkontrasts nutzend, ergibt sich mit orange-gelbem Licht so eine besonders spannungsgeladene Atmosphäre.
Weißes Licht
Am leichtesten zu kontrollieren ist weißes, also neutrales Frontlicht. Hierbei besteht weitaus weniger die Gefahr, dass Gesichter zeichnungslos und maskenhaft wirken. Allerdings ergibt weißes Licht – gerade, wenn es von hoch oben oder gar von unten kommt – eine ungünstige Kombination: Das Licht ist unspektakulär und unvorteilhaft. Von weit oben erhält der Musiker einen langen Nasenschatten, der sich womöglich über die Lippen erstreckt, und die Augen wirken dunkel in den Augenhöhlen – zu düsteren Musikstilen mag das passen, ansonsten ergibt dies aber keine attraktive Darstellung. Hier lohnt es sich also, auf den richtigen Moment zu achten, also auf den, wenn der Künstler den Kopf in den Nacken hebt. Auch ein weniger frontaler Standpunkt kann dabei helfen, diesen Effekt zu minimieren.
Ein spannendes Licht ergeben Lichtspitzen von hinten. Damit hebt sich der Körper gut vom meist dunklen Hintergrund ab und erhält einen schönen Schein. Gibt es dazu wenig Licht von vorne, erhalten Sie so eine Silhouette, die besonders gut zur Geltung kommt, wenn ein Musiker eine ausladende Bewegung ausführt.
Ein klarer Vorteil bei weißem Licht: Sie können durch die Anpassung des Weißabgleichs in einem gewissen Ausmaß selbst kontrollieren, ob Sie dem Motiv eine kühle oder warme Stimmung verleihen möchten. Damit können Sie eine Bildaussage folglich unterstreichen.
Nehmen Sie möglichst viele Konzerte mit, um Erfahrungen zu sammeln und seien Sie nicht frustriert, wenn Sie beim ersten Mal keine brauchbaren Bilder in den Kasten bekommen haben.
Nebel
Nebel verleiht Ihren Konzertfotos einen mystischen Touch. Für die Strahler bietet er eine gute Projektionsfläche, sodass einzelne Strahlen perfekt zur Geltung kommen. Allerdings erschwert er auch das Fokussieren. Schließen Sie die Blende gegebenenfalls ein wenig. Bei starkem Nebel empfiehlt sich eine Unterbelichtung und die entsprechende Nachbearbeitung im RAW-Konverter.
Und der Musikgenuss? Damit der nicht nach hinten losgeht, sollten Sie unbedingt geeigneten Gehörschutz tragen. Sie stehen schließlich nah an den Boxen und es besteht die Gefahr, das Gehör dauerhaft zu schädigen.
„Wenn dann nach den ersten drei Songs Schluss ist mit Fotografieren, sollten Sie es sich gönnen, das restliche Konzert ganz ohne Display zu genießen“, meint Christina. „Wenn Ihnen dabei dann neue Perspektiven und Motive einfallen, können Sie diese beim nächsten Konzert einfangen.“
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