Lisa Röthig ist der Inbegriff einer digitalen Nomadin: In einem Van tourt die gelernte Grafikdesignerin und Fotografin um die Welt. Im Interview spricht sie über ihren aufregenden Lifestyle und erzählt spannende Geschichten über ihre Leidenschaft: die Fotografie.
von Benjamin Lemm, © Fotos Lisa Röthig
Liebe Lisa, seit über einem Jahr schon tourst Du in Deinem Van um die Welt und genießt das Vanlife in vollen Zügen. Wie kam es dazu?
Ich habe in der Schweiz viel Zeit vor dem Computer oder im Fotostudio verbracht – das war mir irgendwann zu eintönig. Klar, ich habe meinen Job und mein Team geliebt, aber irgendwann war der Drang nach Freiheit zu groß. Ich wollte einfach nicht mehr 40 Stunden die Woche arbeiten und ständig an Daten und Termine gebunden sein. Als dann Corona kam, hat es mich immer mehr hinaus in die weite Welt gezogen. Schon früher bin ich viel gereist, habe Fernwandertouren gemacht oder bin mit dem Fahrrad von der Schweiz nach Spanien gefahren. Jetzt kann ich das die ganze Zeit machen und muss nicht am Tag X zurück auf der Arbeit sein.
Woher kommt dieser Reisetrieb?
Den habe ich wohl von meinem Vater geerbt. Er ist mit seiner Freundin aktuell auch in verschiedenen Ländern unterwegs, arbeitet hier und da und genießt einfach die Freiheit, nicht an einen Ort gebunden zu sein.
Wie war es für Dich, die Sicherheit Deines Jobs und Deiner Wohnung hinter Dir zu lassen?
Das war am Anfang schon etwas komisch, aber die vermeintliche Sicherheit, die Dir ein Job und ein fester Wohnsitz geben, kann eben auch trügerisch sein. Du kannst von heute auf morgen krank werden und alles verlieren. Wir haben nur dieses eine Leben und mir ist wichtiger, das zu machen, was mich erfüllt, als immer auf Nummer sicher zu gehen.
Also bist Du einfach losgezogen …
Genau. Zunächst war ich alleine unterwegs, wollte eigentlich nach Dänemark, Norwegen und Schweden. Aber wegen Corona waren die Grenzen zu, also bin ich erst einmal nur in der Schweiz umhergezogen, bis ich dann endlich hinaus konnte. Nach einem halben Jahr habe ich meinen Freund kennengelernt – und seitdem sind wir zu zweit unterwegs und erkunden die Welt.
Wie finanzierst Du Dir Dein Leben im Van?
Zunächst einmal habe ich mich ein Jahr lang darauf vorbereitet und habe Geld gespart, von dem ich lange Zeit leben kann. Außerdem übernehme ich nebenbei ein paar kleinere Kundenaufträge im Webdesign. Hin und wieder komme ich zurück in die Schweiz und nehme dort ein paar Fotografieaufträge an, aber im Grunde lebe ich von meinen Ersparnissen und vom Webdesign. Ansonsten wohnen wir einfach in der Natur, die Kosten sind gering. Ab und zu nehmen wir unterwegs auch Arbeit an oder wirken gegen Kost und Logis an sozialen Projekten mit.
Auf Deinen Reisen hast Du verschiedene Fotoprojekte umgesetzt. Eines davon ist das Projekt „Peaks of the Balkans“. Erzähl ein wenig davon.
Mein Freund und ich waren im Balkan unterwegs und haben eine Abwechslung zum Vanlife gesucht. Wir wollten Natur pur erleben und sind nur mit dem Zelt durch die Berge gewandert, ohne zwischendurch ein Gasthaus anzusteuern. Ich hatte schon länger einen Reiseführer über die Gegend in meinem Van herumliegen und als wir dann dort waren, mussten wir das einfach machen.
Also sind wir losgezogen und sind zehn Tage lang durch die Wildnis marschiert. Es war ein unfassbar herausfordernder Weg von insgesamt 192 Kilometern Länge. Jeden Tag haben wir mindestens 1.000 Meter Höhendifferenz überwunden, also insgesamt über 10.000 Meter, und das mit jeweils einem 20 Kilogramm schweren Rucksack auf dem Rücken. Darin waren nicht nur Klamotten und unsere Verpflegung, sondern natürlich auch meine Kameraausrüstung samt Stativ, Objektiven und Filtern. Die Kamera hatte ich immer griffbereit, habe alles dokumentiert und schöne Erinnerungen festgehalten. Und so sind glaube ich ein paar ganz schöne Bilder entstanden …
Was ist Dir von diesem Trip besonders im Gedächtnis geblieben?
Das Schönste war der Kontakt zu den vielen sehr freundlichen Leuten, denen wir auf unserem Weg in den entlegenen Dörfern begegnet sind. Sie haben uns zum Kaffee eingeladen und sich riesig gefreut, wenn wir die wenigen Worte auf Albanisch, die wir können, verwendet haben. Die Menschen dort haben oft sehr wenig und leben ein einfaches Leben, wie man in Deutschland vielleicht sagen würde. Trotzdem haben sie so viel zu geben, sind herzensgut und empfangen einen mit offenen Armen. Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir außerdem eine Zeltnacht auf 1.800 Metern Höhe – es war superkalt, wir hatten nur sehr wenig Platz und haben kaum geschlafen. Als wir am nächsten Morgen aufgestanden sind, war um uns herum alles voller Touristen.
Wie bist Du aus fotografischer Sicht an das Projekt herangegangen?
Im Grunde ist es einfach auf dem Weg entstanden. Wenn ich unterwegs bin, ist mein Kopf sowieso immer auf Bildersuche – nur zu laufen gibt es bei mir nicht. Ich beobachte die Umgebung und wenn ich ein Motiv sehe, habe ich die Kamera sofort parat. Meistens sind die Bilder nicht geplant und entstehen aus dem Moment heraus.
Was hast Du aus fotografischer Sicht auf Deinen Reisen gelernt?
Mir ist es schon immer recht schwergefallen, auf fremde Menschen zuzugehen, um sie zu fotografieren. Oder auch, sie auf offener Straße zu fotografieren, ohne sie zu fragen.
Manchmal muss man aber erst fotografieren und dann fragen, weil die Aufnahme sonst nicht authentisch ist. Allerdings wollen viele Menschen nicht fotografiert werden. Die Hemmschwelle ist hoch, aber ich bin in den letzten Monaten besser darin geworden zu fragen, auch, weil ich so viel positives Feedback bekommen habe. Ich habe zum Beispiel eine Familie in einem Bergdorf fotografiert. Die Familie hat sich sehr gefreut, dass sie jemand fotografiert, weil dort niemand eine Kamera hat.
Eine außergewöhnliche Bilderserie, die auf Deinen Reisen entstanden ist, ist das „Seitenspiegel-Projekt“. Hierfür hast Du Fotos über den Spiegel auf der Beifahrerseite Deines Vans gemacht. Wie kam es dazu?
Ich liebe es, alltägliche Dinge und Momente mit der Kamera festzuhalten. Gerade auf der Straße findet man so viele spannende Motive. Aber ganz oft fährt man einfach an ihnen vorbei und hat gar nicht die Zeit, sie fotografisch festzuhalten. Im Seitenspiegel habe ich eine zweite Chance, auf diese Motive zurückzublicken und sie zu fotografieren.
Das ist allerdings gar nicht so einfach – man muss den richtigen Moment erwischen. Oft ist man ziemlich schnell unterwegs. Meist habe ich die Kamera schon auf eine kurze Verschlusszeit und eine kleine Blende eingestellt, damit das Bild auch scharf wird.
Mindestens genauso außergewöhnlich ist Dein Projekt „People and their socks“, für das Du verschiedene Menschen in ihren Socken fotografiert hast. Was steckt dahinter?
Es fing damit an, dass ich meinen Freund in seinen Socken fotografiert habe und er dann anfing zu überlegen, was diese Socken eigentlich schon alles erlebt haben. Eigentlich sind Socken ein recht langweiliges Thema, könnte man meinen, aber wenn ich die Menschen danach frage, lachen sie erst – und haben dann oft doch die ein oder andere spannende Geschichte zu erzählen. Also frage ich einfach: „Willst Du mir was über Deine Socken erzählen?“ – und bekomme die unterschiedlichsten Antworten.
Jeder hat irgendeine Story auf Lager, die er mit seinen Socken verbindet. In den Fotos habe ich versucht, die Persönlichkeit dieser Menschen und ihre Umgebung festzuhalten. Zusammen mit den Geschichten bekommt man dann einen ziemlich guten Einblick in das Leben dieser Leute.
Wie geht es für Dich weiter?
Wir planen eigentlich nicht so gern voraus, sondern lassen uns treiben. Das ist ja das Schöne an unserem Lifestyle. Aber irgendwann kommt dann der Moment, an dem wir wieder Geld verdienen müssen. Aktuell sind wir in Bulgarien, demnächst wird es aber wieder eine Zeit geben, in der wir in die Schweiz zurückkehren und ein wenig arbeiten. Danach wollen wir weiterreisen, uns Plätze in Europa anschauen, die wir noch nicht gesehen haben. Und wer weiß, vielleicht treibt es uns dann noch weiter weg. Dabei möchte ich weitere Fotoprojekte umsetzen, aber welche das sein werden, weiß ich noch nicht so genau – die entstehen dann schon unterwegs.
Vielen Dank für das Gespräch!
Lisa Röthig
Unter dem Namen CinnamonTree ist Lisa Röthig (33) als Fotografin tätig. Seit einem Jahr tourt die gelernte Grafikdesignerin in ihrem Van um die Welt und hält die Geschichten, die sie auf ihren Reisen erlebt, mit ihrer Kamera fest.
Web: www.cinnamontree.ch
Instagram: cinnamontreephotography
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