„Selbstporträts zwingen mich dazu, mich eingehend mit mir selbst zu beschäftigen“, erläutert Alexandra Schotsch ihre Beziehung zu dieser Kunstform. Sie hat auch viele weitere spannende Ansichten und wertvolle Tipps in petto für eine Kunstform, die mehr als nur ein schnelles Selfie darstellen kann.

von Maja Jerrentrup © Fotos Alexandra Schotsch

Alexandra Schotsch ist mir in einem Seminar an der Hochschule Trier aufgefallen – ein Online-Seminar zu Mediendesign, bei dem sich jeder Studierende kurz mittels Bildern vorstellen sollte. Bei Alexandra waren es Selbstporträts und Porträts, die eine Freundin von ihr aufgenommen hat. Ihr Interesse an der Fotografie, speziell an Selbstporträts, reicht in ihre Schulzeit zurück, als sie einen Beautyblog begann und sich dafür ihre erste Spiegelreflexkamera zulegte, um bessere Detailaufnahmen von ihren Make-ups aufnehmen zu können. Zu Schulzeiten stibitzte sie auch oft die Digitalkamera ihrer Eltern, um damit einfache Selbstporträts aufzunehmen und experimentierte mit verschiedenen Lichtsituationen, nutzte beispielsweise Fensterlicht oder ihre Schreibtischlampe als Lichtquelle. Mit der ersten eigenen Kamera sprudelten die Ideen, aber es fehlte ein Model, mit dem sie sie hätte umsetzen können: „Notgedrungen griff ich auf Selbstporträts zurück und nutzte sie auch, um meinen eigenen Charakter zu ergründen und zu visualisieren, was mich im Inneren beschäftigt. Noch heute fertige ich Selbstporträts an, um Zeit für mich zu finden oder auch als Vorbereitung oder Tests für anstehende Shootings“, berichtet Alexandra Schotsch.

Mittlerweile ist sie dabei, die Leidenschaft für Medien zum Beruf zu machen: Ihr Masterstudium der Medieninformatik an der Hochschule Trier neigt sich dem Ende zu. Besonders schätzte sie an diesem Studium die Kombination aus technischen und kreativen Aspekten sowie die Vielfalt: So kommt man beispielsweise mit Webdesign in Kontakt, mit 3D-Modellierung und Software-Engineering, kann aber auch zusätzliche kreativere Fächer belegen und das Studium so auf die eigenen Neigungen und Pläne zuschneiden. Alexandra konnte beispielsweise durch die Fächer Fotografie und Bildbearbeitung Erfahrungen in der inszenierten People-Fotografie sammeln und auch in neue Bereiche hineinschnuppern, wie die Foodfotografie oder die Erstellung von Compositings. Bei ihren Fotografien geht es aber nicht nur um die Technik – den Fokus legt sie klar auf die Emotionen, die sie mit dem Foto beim Betrachter wecken möchte: „Ich würde niemals ein aussagekräftiges oder berührendes Foto löschen, nur weil der Fokus nicht ganz sitzt oder manche Teile des Bildes ausgebrannt sind. In den meisten Fällen lassen sich diese beiden Faktoren aber gut miteinander vereinbaren und viele inhaltliche Aspekte eines Fotos entstehen sogar erst durch bestimmte Techniken.“

Besonders wichtig ist es ihr, dass ihre Fotos eine Geschichte erzählen. Auch der Charakter des Models und die Arbeit der Visagistin sollen noch gut erkennbar sein. Am liebsten arbeitet Alexandra im Team.

Bilder und Soundtracks

Ihre Inspiration findet Alexandra vor allem in Erinnerungen an ihre eigene Kindheit. Einige ihrer Erfahrungen verarbeitet sie durch Selbstporträts oder lässt sie in ihre freien Shootings einfließen. Außerdem hat sie schon als Kind viel gelesen – Harry Potter, die Chroniken von Narnia und viele Bücher von Cornelia Funke haben sie langfristig beeinflusst. Außerdem ist sie mit Pokémon, Tomb Raider und The Legend of Zelda aufgewachsen, welche ihre Wahrnehmung von Werten und ihr Frauenbild geprägt haben. Lara Croft, die Heldin von Tomb Raider, war eine der ersten spielbaren Frauen in einem Videospiel. Sie war in keiner Weise auf Hilfe von außen oder gar die Hilfe eines Mannes angewiesen. Aufgrund dieser prägenden Erfahrungen zeigt Alexandra Frauen gerne als starke und unabhängige Persönlichkeiten. Selbst wenn sie verletzlich oder verträumt wirken, so sollen sie nie als hilflos wahrgenommen werden. Am meisten inspirieren sie jedoch die Filme des japanischen Studio Ghibli. Prinzessin Mononoke, Spirited Away und das wandelnde Schloss gehören zu ihren absoluten Favoriten, denn sie bieten beeindruckende handgezeichnete Bilder und einen absolut stimmigen Soundtrack von Joe Hisaishi. Dieser läuft auch oft im Hintergrund, wenn sie Shootingideen entwickelt oder Bilder bearbeitet.

Selbstporträts bedeuten Alexandra Schotsch nach wie vor viel. „Selbstporträts zwingen mich dazu, mich eingehend mit mir selbst zu beschäftigen. Mit meinen Wünschen, Ängsten und Träumen, aber auch mit meinem Aussehen. Durch Stress und Arbeit habe ich oft das Gefühl, den Bezug zu mir selbst zu verlieren und kann ihn durch einen Nachmittag mit meiner Kamera, einem Stativ und einem Fernauslöser wiederherstellen“, berichtet sie. „Für viele Menschen ist das Modeln oder das Aufnehmen von Selbstporträts gerade im Selfie-Zeitalter negativ behaftet und kann egozentrisch wirken. Dabei wird jedoch außer Acht gelassen, dass kaum jemand vor der Kamera steht, nur weil er sich besonders attraktiv fühlt oder das Rampenlicht sucht. Die Kunst ist einfach ein kreatives Ventil. Manche nutzen dafür wie ich die Fotografie oder stehen vor der Kamera, um sich auszudrücken.“

Zudem nutzt Alexandra das Selbstporträtieren, um den Druck aus einer Fotoidee zu nehmen. Bei der Arbeit mit einem Model oder womöglich mit einem ganzen Team entsteht automatisch ein gewisser Leistungsdruck. Dadurch kann das eigentliche Ziel des Projekts in den Hintergrund rücken. Beim Selbstporträtieren fällt dieser weg. Man produziert das Foto nur für sich selbst und es ist absolut okay, falls eine Idee nicht funktioniert oder ein Bild nicht dazu da ist, präsentiert zu werden. Man ist niemandem außer sich selbst Rechenschaft schuldig. Das kann gerade in den heutigen Zeiten und mit dem starken Druck durch Social Media entlastend sein.

Einziges Problem an den Selbstporträts ist das Auslösen, wie Alexandra berichtet: „Ich habe ein sehr gespaltenes Verhältnis zu meinem Fernauslöser, der selten reagiert und oft ausfällt. Aus diesem Grund enden die meisten Sessions mit Verrenkungen, da ich stattdessen die Kamera meistens per WLAN mit meinem Smartphone auslöse.  Da normalerweise beide Hände im Bild sichtbar sein sollen, bleibt als einzige Alternative an dieser Stelle mein großer Zeh übrig, was oft kleinere Unfälle und Hämatome zur Folge hat.“

Gegenseitiges fotografieren

Außerdem lässt sich Alexandra auch gerne von ihrer Freundin und Kollegin Annabelle Ritter fotografieren – genau genommen fotografieren sich beide immer mal wieder gegenseitig: „Meist läuft es so ab, dass eine von uns eine Idee pitcht und dann mit der anderen als Model umsetzt. Einige Wochen später drehen wir den Spieß dann um. Unsere Shootings haben uns schon in einen verlassenen Steinbruch, einen alten London-Bus oder in ein improvisiertes Boudoir-Studio in meinem Wohnzimmer geführt.“ Annabelle übernimmt dabei meist das Styling. Die Shootings laufen entspannt und ohne Druck ab. Beide nehmen sich normalerweise einen ganzen Tag Zeit und führen tiefgründige Gespräche, während sie sich fotografieren. Auf diese Weise fließen automatisch mehr und vor allem echte Emotionen mit in die Bilder ein. „Das Besondere an unserem Projekt ist, dass wir beide einen ähnlichen introvertierten Charakter haben und uns hinter der Kamera deutlich wohler fühlen als davor“, erzählt Alexandra. „Wir haben beide unglaublich von diesem Seitenwechsel profitiert, ein gesünderes Körpergefühl entwickelt und konnten einige Learnings mitnehmen, die wir auch für unsere Arbeit als Fotografinnen nutzen können. Annabelle hat vor einigen Jahren insgesamt 65 Kilogramm abgenommen und die Fotos halfen ihr, in ihrem neuen Körper anzukommen. Ich habe wie viele andere junge Frauen mit Selbstzweifeln zu kämpfen und habe durch unsere Fotoshootings ein gesünderes Verhältnis zu meinem Körper entwickeln können.“

Tipps für wohltuende Selbstporträts

Alexandras wichtigster Tipp ist es, einfach loszulegen. Man verbringt viel zu viel Zeit mit Grübeln und versucht, ein möglichst perfektes Bild zu planen, so ihre Erfahrung. Sie findet es hilfreich, sich ein bestimmtes Gefühl oder eine Erinnerung herauszupicken und einen Timer auf eine Stunde zu stellen. Dadurch hat man genügend Zeit, eine Idee auszuarbeiten, verfällt aber nicht in zu perfektionistisches Denken. Für Alexandra ist es immer wieder erstaunlich, welche Ergebnisse innerhalb solch einer kurzen Zeitspanne entstehen können. Ein erfolgreich umgesetztes Selbstporträt senkt außerdem die Hemmschwelle für weitere Arbeiten, die dann auch einmal ausufern dürfen. Außerdem ist Alexandra auch ein großer Fan der Idee, täglich ein Selbstporträt aufzunehmen. Hier kann man Inspiration sammeln und diese im Anschluss auf die eigene Arbeit anwenden – wobei durchaus eine Smartphone-Kamera ausreichend sein kann.

Außerdem findet sie es sehr wichtig, Bilder in erster Linie für sich selbst zu machen. Gerade bei der Aufnahme von Selbstporträts sollte man alles weitere ausblenden und keine Gedanken daran verschwenden, wie andere Leute auf das Foto reagieren könnten. Ein Selbstporträt ist einzig und allein für den Fotografen geschaffen. Egal, ob er oder sie sich einfach an diesem Tag besonders schön fühlt, ein Trauma verarbeitet oder eine Idee umsetzt, die schon ewig in seinem oder ihrem Kopf herumschwirrt. Alles darf, nichts muss.

Alexandra Schotsch

Die Medieninformatikerin beschäftigt sich mit Selbstporträts, aber auch mit inszenierter People-Fotografin und Hochzeitsfotografin

Instagram: alexandraschotsch