Christoph Hepperle fotografiert hauptsächlich florale Motive. Doch die Blumen an sich spielen in seiner Fotografie nur eine untergeordnete Rolle. Viel wichtiger ist für ihn das, was drumherum passiert. Zur Gestaltung dieses negativen Raumes nutzt er gezielt alte Analogobjektive.

von Benjamin Lemm

© Fotos Christoph Hepperle

Christoph Hepperle fotografiert Blumen – nichts Ungewöhnliches eigentlich. Doch schaut man genauer hin, erkennt man, dass hinter seiner Fotokunst mehr steckt als nur einfaches Knipsen. Er bezeichnet seine Art der Fotografie auch als „Malen mit der Kamera“. Damit meint er vor allem die Darstellung des negativen Raumes, denn dieser ist für ihn besonders wichtig, wichtiger sogar als das Motiv im Vordergrund. „Der Hauptdarsteller ist für mich der Hintergrund“, erklärt der 61-Jährige mit Nachdruck. „Es ist wie beim Aquarellieren: Wer malt, muss den negativen Raum sehen und wer das kann, der kann schöne Bilder gestalten.“

Bokeh ist nicht gleich Bokeh

Wie der negative Raum aussieht, hängt wiederum mit den speziellen Objektiven zusammen, die Christoph verwendet. Denn diese erzeugen ein ganz eigenes, individuelles Bokeh. Das Trioplan von Meyer-Optik Görlitz beispielsweise ist ein Klassiker und unter Analog-Nostalgikern für seine berühmten, kreisrunden „Bubbles“, die es im Bokeh erzeugt, bekannt. Nicht weniger berüchtigt ist auch das Cyclop 85mm f/1.5, ein Objektiv, das eigentlich von einem militärischen Nachtsichtgerät stammt und sich durch ein ganz eigenes System auszeichnet, das zu einzigartigen Weichzeichnungen führt.

Die Kunst bestehe darin, herauszufinden, welches Objektiv bei welchem Licht wie reagiert und die Objektive dann entsprechend der eigenen Vorstellung zu verwenden. Die Schwierigkeit ist dabei, dass vor Ort trotz digitaler Technik nicht immer ganz ersichtlich ist, wie das Bild am Ende aussieht. Deshalb ist es für Christoph essenziell, die Eigenschaften seiner Objektive genau zu kennen und sich bildlich vorstellen zu können. Die Kamera, die er dabei verwendet, spielt allerdings eine eher untergeordnete Rolle. „Die Objektive heutzutage nivellieren das Bokeh so stark, dass am Ende nur noch eine flache Suppe zu erkennen ist. Manch einer mag das schön finden, für meine Art der Fotografie funktioniert das aber nicht. Je „perfekter“ das Objektiv, desto schlechter ist das eigentlich für mich“, beschreibt er.

Bewusster fotografieren

Für Christoph Hepperle hat seine Art der Fotografie eine meditative Komponente. Für jedes Bild lässt er sich sehr viel Zeit, geht die Fotografie ruhig und bewusst an, ohne zu sehr nach einem Ergebnis zu trachten. Sie bietet ihm einen wunderbaren Ausgleich und eine Pause vom Berufsleben.

Früher einmal war er zehn Jahre lang als gelernter Fotograf selbständig. Inzwischen ist er seit über 20 Jahren im Kulturamt Ravensburg tätig, unter anderem in der Funktion als Stadtfotograf. Die Arbeit als Berufsfotograf vermisst er dabei weniger – man sei mittlerweile zu abhängig von Werbeagenturen, die einem klare Vorgaben machen und nur wenige Kreativität zulassen, berichtet er.

„Die letzten Jahre hatte sich meine Lust an der Fotografie etwas gelegt, weil alles immer viel technikorientierter wurde und das hatte mir die Freude an der Sache genommen. Erst als ich bewusst von der Technik weggegangen bin und meinen Fokus wieder auf den Fotografie-Prozess an sich gelegt habe, ist meine Leidenschaft wieder aufgekeimt.“

Leidenschaften verbinden

Hinzu kommt, dass er seine Fotografie, die sich hauptsächlich um florale Motive dreht, wunderbar mit seiner zweiten großen Leidenschaft verbinden kann: dem Wandern in der Natur. Fast jedes Wochenende ist er im Allgäu, in Oberschwaben oder der Schwäbischen Alb unterwegs und erkundet die Umgebung. Auch größere Touren wie beispielsweise eine Wanderung von München nach Venedig hat er schon absolviert – und natürlich mit der Kamera dokumentiert. Außerdem seien Blumen eben genau die Motive, die beruhigen und zu dem meditativen Erlebnis beitragen. „In der Presse bekommt man manchmal den Eindruck, dass wir unsere Umwelt schon komplett zerstört haben, aber das ist einfach nicht wahr. Es gibt immer noch so viel Schönheit da draußen zu entdecken und das nicht irgendwo, sondern überall, am Wegesrand. Natürlich müssen wir trotzdem alle miteinander aufpassen und unsere schöne Natur schützen“, gibt er zu bedenken.

Die Entdeckung der Langsamkeit

Grundsätzlich geht Christoph seine Wander- und Fototouren sehr gelassen an. Denn mit Gewalt ein Motiv zu suchen, funktioniere nicht, sagt er. Wenn ihm dann ein Motiv ins Auge sticht, sichtet er die Umgebung zunächst in aller Ruhe, beobachtet das Licht und überlegt, welches seiner Objektive zu seiner Stimmung passen könnte. Wichtig ist dabei vor allem nicht die Blume an sich, sondern der Hintergrund der selbigen. „Ich könnte Ihnen bei meinen Blumenfotos nur bei den allerwenigsten sagen, wie sie heißen, aber das spielt für mich auch überhaupt keine Rolle. Wichtig ist das Gesamtbild, der Hintergrund und die Stimmung, die dieser erzeugt.“ Seine eigene Gemütsverfassung spiele dabei auch in die Bildgestaltung mit hinein. Er ist der Meinung, wenn er einen Tag später auf das gleiche Motiv stoße, ein ganz anderes Bild dabei herumkomme.

Wenn er ein Motiv betrachtet, kommt er manchmal zu dem Schluss, dass er später noch einmal wiederkommen muss, weil das Licht gerade nicht passend ist. Aber wenn es dann passt, versinkt Christoph in dem Prozess und taucht ab, hinein in die Untiefen der Bildkomposition. „Von da an ist es dann vor allem eine Geduldsgeschichte. Ich muss mich selbst ein wenig zurücknehmen und das Ganze langsam angehen. Dann frage ich mich: Wie platziere ich mein Objekt im Bild? Wie wähle ich den Hintergrund und wie muss der Bildausschnitt aussehen? Diese Fragen beantworten zu können, erfordert jede Menge Übung“, fasst er zusammen. Weil dieser Prozess so langwierig ist und seine Motive meist auf halber Höhe oder am Boden zu finden sind, hat Christoph immer einen Hocker und eine Matte dabei, um sich zu setzen oder gegebenenfalls sogar hinzulegen, wenn es sein muss.

Dabei fotografiert er grundsätzlich mit Offenblende. Und das wiederum heißt: volle Konzentration, ein ruhiges Händchen und jede Menge Geduld. Denn bei einer Blende von f/1.2, wie beispielsweise das Tomioka Revuenon 55mm f/1.2 sie bietet, kann schon der kleinste Wackler zu Unschärfe führen. Bei solch einer Offenblende umfasst der Schärfebereich eben nur wenige Millimeter. Oft helfen da nur ein Stativ und absolute Windstille.

Momente des Glücks

Manchmal dauert es Stunden, bis er sein Bild soweit vorbereitet hat, dass er den Auslöser betätigen kann. Dann macht er nur wenige Aufnahmen und hat im Idealfall ein wunderschönes Foto produziert. „Wenn ich das Bild gemacht habe, ist meine innere Befriedigung eigentlich schon erreicht. Es kann sein, dass das Bild dann später auf meiner Homepage landet, damit die Leute es sehen können, aber das Erfolgserlebnis hatte ich schon vorher“, beschreibt er die Zufriedenheit, die ihm seine Leidenschaft beschert.

An manchen Tagen findet Christoph kein passendes Motiv für seine Fotografie und kehrt unverrichteter Dinge nach Hause zurück. An anderen Tagen wiederum kommt er fast gar nicht mehr heim: „Tendenziell werden die Wanderungen immer kürzer und die Fotosessions immer länger“, lacht er. Oft spürt er, schon bevor er sich die Bilder am Computer anschaut, ob ein gutes Foto dabei war oder nicht, denn das wiederum hängt viel damit zusammen, wie gelassen er an diesem Tag war.

Weiter malen

Bildbearbeitung meidet Christoph so gut es geht und nimmt nur einige wenige Änderungen an seinen RAW-Dateien vor, passt den Kontrast an und beschneidet das Bild unter Umständen minimal. „Bildbearbeitung würde ich als eigene Kunstform betrachten, aber das ist nicht mein Ding. Ich sitze den ganzen Tag vor dem Rechner und habe keine Zeit und keine Lust, das in meiner Freizeit auch noch zu tun. Im Übrigen muss man natürlich sagen, dass es sowieso keine unbearbeiteten Bilder gibt – weder analog noch digital. Denn sonst könnten wir sie gar nicht sehen.“

Anderen Fotografen rät er, weniger auf die Technik zu achten und nicht einfach mit der Masse mitzuschwimmen, sondern auf das eigene Bauchgefühl zu hören. Auch sei es hilfreich, sich selbst klar definierte Fotoaufgaben zu stellen und nicht einfach drauflos zu knipsen. Man sollte gezielt und in Ruhe sein Bild gestalten, sodass am Ende ein paar wenige, gute Aufnahmen dabei herumkommen und nicht mehrere hundert mittelmäßige oder schlechte Fotos.

Für seinen Ruhestand hat sich Christoph Hepperle im Übrigen ein großes Projekt vorgenommen: So möchte er über einen längeren Zeitraum einmal im Monat für mehrere Tage auf der Insel Mainau am Bodensee fotografieren und dort auf den Spuren des Insel-Grafen Bernadotte wandeln, der einst selbst ein begnadeter Makrofotograf war. Am Ende des Projektes soll daraus eine Ausstellung entstehen. Darüber hinaus möchte sich Christoph vor allem fotografisch weiterentwickeln, jeden Tag ein bisschen besser werden und weitere, tolle Bilder mit seiner Kamera „malen“.