Frank Kunert ist passionierter Studiofotograf und Modellbauer. Seine Miniaturen greifen alltägliche Motive auf und versehen sie mit widersprüchlichen Details, sodass am Ende außerordentlich groteske Fotos entstehen.
von Benjamin Lemm
© Fotos Frank Kunert
Ein Sprungbrett, das aus dem Wohnzimmerfenster ragt. Eine Treppe, die ins Nichts führt. Ein Schaukelpferd mit meterhohen Beinen. Frank Kunerts Fotografien von selbstgebauten Modellen sind grotesk und üben eine eigenartige Faszination aus, die sich kaum greifen lässt. Eine auf den ersten Blick normale Kulisse wird durch kleine Details ad absurdum geführt. Alltagsgegenstände werden zweckentfremdet und verlieren in dem neuen Kontext ihren Sinn oder ihnen wird ein neuer Sinn zugesprochen. Man kann nicht anders, als über die Finesse von Kunerts Kompositionen zu schmunzeln. Sie haben etwas Karikaturistisches – und das ist auch durchaus beabsichtigt: „Ich bin ein Freund der Kunst, die das Komische in sich trägt. Das gibt es in der bildenden Kunst aber leider viel zu selten“, beschreibt Kunert.
Um die Ecke gedacht
Geboren 1963 in Frankfurt am Main absolvierte Frank Kunert nach dem Abitur eine Ausbildung zum Fotografen in einem Studio für Werbe- und Industriefotografie. Schon damals besaß er einen starken Drang zur handwerklichen Arbeit: „Ich wollte weg vom Theoretischen und brauchte den Bezug zum wirklichen Tun“, beschreibt er und ergänzt: „An der Studiofotografie hat mich immer so fasziniert, dass man hier abseits der wirklichen Welt Illusionen von der Realität schaffen kann.“

Dieses Bild mit dem Titel „Öffentliche Toiletten“ zeigt Frank Kunerts Faible für das Absurde und beinhaltet gleichzeitig ein Wortspiel. Das Bild bekommt durch seinen Titel nochmal eine zusätzliche Dimension.
Seine ersten Schritte in der Miniaturfotografie ging er bereits 1994. Zunächst begann er mit kleinen Aufträgen, gestaltete Bilder für Plattencover aus Knetfiguren. Seine eigentliche Faszination allerdings galt schon damals dem Modellieren von Gebäuden. Diese wurden mit der Zeit immer realistischer. Die Serie mit den grotesken Miniatur-Fotografien, wie sie heute besteht, begann er 2001. Bis heute sind so über 100 Bilder entstanden: „Ich kann Gebäude eine Geschichte erzählen lassen. Sie sagen etwas über die Menschen aus, zeigen, wie der Mensch sich einrichtet, was für Träume und Wünsche er hat“, beschreibt er. Und so lassen sich Kunerts Bilder durchaus gesellschaftskritisch interpretieren. Sie scheinen die Sinnhaftigkeit des menschlichen Daseins zu hinterfragen und zeigen gleichzeitig, wie zweckgesteuert der Mensch eigentlich ist. Dabei bildet er auch ernste Themen wie etwa den Tod humoristisch ab. „Das was wir auf dieser Welt machen, das Leben an sich, ist ja eigentlich schon total absurd. Ich versuche das zu zeigen, indem ich ein wenig um die Ecke denke – auf einfachem Wege wäre das wahrscheinlich zu direkt und weniger spannend“, erklärt Frank Kunert seinen Gedankenprozess.
Verdichtete Realität
Die konkreten Ideen entstehen zumeist in einem Skizzenbuch. Hierin zeichnet der 57-Jährige die ersten Entwürfe und spinnt die Idee in Assoziationsketten weiter. Dann geht es an den Modellbau. Das nötige Wissen hierfür hat sich Kunert selbst angeeignet: „Man muss eine gewisse Neigung dazu haben und einfach machen. Mit der Zeit wird man dann besser, lernt aus seinen Fehlern und steigert sich von Modell zu Modell. Oft stehe ich heute noch davor und weiß nicht, wie ich gewisse Dinge umsetzen soll; aber dann probiere ich so lange herum, bis es funktioniert.“

„Privatsphäre“ nennt sich das Bild, welches die eigentlich soziale Funktion eines Stammtisches ad absurdum führt.
Die Materialien für den Modellbau stammen dabei aus unterschiedlichen Quellen. Für die Wände verwendet er meist Leichtschaumplatten aus dem Künstlerbedarf , ansonsten nutzt er viel Pappe und Holz. Hin und wieder durchstöbert er auch den Verpackungsmüll nach möglichen Bauteilen. Auch Modellautos oder Möbel im Puppenhausmaßstab kommen manchmal zum Einsatz. „Durch die Miniaturisierung kann man vieles draußen aus der Welt komprimiert auf den Studiotisch holen und mit der Wirklichkeit spielen. Wenn man durch die Kameralinse schaut, denkt man dann, man stehe vor einem echten Gebäude und das hat mich immer fasziniert“, beschreibt Frank Kunert diesen besonderen Blick durch die Kamera.
Das Bild als Medium
Während der eigentliche Modellbau meist mehrere Wochen oder gar Monate dauert, nimmt das Fotografieren an sich nur wenig Zeit in Anspruch. Allerdings begleitet die Kamera den Prozess von Anfang an: Kunert macht schon während des Baus Testaufnahmen, um die Komposition und die Lichtstimmung besser einschätzen zu können und einen ersten Eindruck vom fertigen Foto zu bekommen. Aber auch wenn der eigentliche Arbeitsaufwand beim Modellbau an sich liegt, richtet sich dabei doch alles auf das Bild aus. So baut Frank Kunert meist nur die für das Foto relevanten Seiten des Modells. Einige dieser unfertigen Kulissen zeigt er dann auch später bei seinen Ausstellungen, um den Entstehungsprozess seiner Bilder zu präsentieren. Andere Modelle wiederum baut er extra für diesen Zweck fertig und drapiert sie in Leuchtkästen.

Einen eigenen Pool hätte wohl jeder gerne. Wenn wohl auch nicht so, wie hier im Bild „Beletage“ dargestellt.
Bildbearbeitung spielt bei Kunerts Fotos übrigens nur eine sehr geringe Rolle. Die größte Bedeutung liege beim Modellbau – dieser mache schließlich auch den Reiz seiner Kunst aus. Hauptsächlich nimmt Kunert Änderungen im Kontrast und der Farbangleichung vor und retuschiert hin und wieder ein wenig. Ansonsten hält er alles so einfach wie möglich, auch in der Fotografie an sich. Das Ganze soll eben auch authentisch rüberkommen: „Es wäre ja langweilig, wenn die Hälfte gephotoshopt wäre. Ich füge meinen Bildern nichts hinzu – man soll ja auch sehen, dass es selbst gebaut ist. Für mich hat das etwas Charmantes“, fasst er zusammen. Auch künftig möchte Kunert weitere Modelle bauen und seine Fotos in Ausstellungen präsentieren. Ideen dafür hat er jedenfalls genug: „Die Welt hält stets Komisches bereit. Und dann gibt es immer wieder Erfahrungen, die man irgendwie verarbeiten muss.“
Frank Kunert
Frank Kunert legt den Schwerpunkt seines Schaffens in die Gestaltung und Fotografie von Miniaturkulissen.
Instagram: @frank.kunert.photography
© Foto Elizabeth Clarke
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