Romantisch, nachdenklich, nostalgisch – so würde man Gerda Jaeggis Stil vielleicht charakterisieren. Aber da steckt noch mehr dahinter: „Meine Fotografie ist spirituell. Es ist mir wichtig, die enge Verbindung zwischen Mensch und Natur zu betonen.“

 von Bastian Reichardt

© Fotos Gerda Jaeggi

Ein Mädchen sitzt mit einem Hund auf einem Steg am See, man sieht die beiden in der Rückenansicht. Es ist ein trüber Tag, das graue Wasser des Sees versinkt nach wenigen Metern in der Unschärfe, rechts ragen ein paar Halme aus dem Wasser, in der Ferne, auf dem anderen Ufer, lassen sich schemenhaft Bäume ausmachen. Eigentlich gibt es nicht viel zu sehen auf diesem Bild, das in sanften Grau- und Brauntönen gehalten ist, es ist fast minimalistisch und von viel leerer Fläche geprägt – und doch erzählt es sehr viel. Die Rückenansicht erleichtert es dem Betrachter, die Perspektive des Mädchens einzunehmen. Die klare Wasseroberfläche lädt zum Träumen und Nachdenken ein. Ein leeres Bild mit viel Inhalt.

Genau das ist beabsichtigt: „Motive müssen für mich eine Aussage transportieren und zum Nachdenken anregen“, erklärt Gerda Jaeggi. Schon seit ihrer Kindheit hat sie einen engen Bezug zur Natur, den sie mit ihren Bildern vermitteln möchte. „Harmonische Plätze in der Natur, an denen ich Energie und Kraft verspüre, inspirieren mich zu meinen Motivideen. Ich versuche das dann in meinen Fotos umzusetzen. Manchmal geht es dabei auch in eine etwas surreale Richtung.“

Nachwuchstalente vor der Linse

Als Modelle wählt Gerda besonders gerne Kinder und Jugendliche, die für sie am besten die Natürlichkeit vermitteln, die ihren Bilder das gewisse Etwas verleiht. Dabei handelt es sich jedoch nicht um Agenturmodelle. Seit zehn Jahren gibt Gerda Kurse in künstlerischer Fotografie an der Kreativakademie des Landes Niederösterreich für Jugendliche von zwölf bis 19 Jahren. Vor allem dort lernt sie ihre jungen Modelle kennen. Manche stammen aber auch aus dem Familien- und Freundeskreis. „Ich achte bei der Auswahl meiner Modelle auf die Ausstrahlung und Natürlichkeit einer potentiellen Kandidatin und darauf, ob sie sich auch gerne präsentieren möchte, also Spaß an der Sache hat“, erklärt Gerda ihre Art des Castings. „Diese Kombination ist nicht immer ganz einfach zu finden.“ Kinder und Jugendliche, so ist ihre Erfahrung, können sich sehr gut in eine Situation hineinversetzen und transportieren ein Thema dadurch auch sehr wirklichkeitsnah. Wichtig ist dabei aber auch, dass den jungen Modellen Gerdas Motivideen gefallen.

Kinder und Jugendliche sollte man wie ebenbürtige Partner auf Augenhöhe behandeln. Sie spüren das und man erhält so viel aussagekräftigere Fotos.“

 

Theaterkostüme und Tücher

Schlicht, aber doch mit einem gewissen eleganten Retroflair – so sehen viele der Kostüme aus, die bei Gerda zum Einsatz kommen. Einige dieser Kostüme konnte sie bei Verkäufen der österreichischen Theaterbühnen günstig erwerben. Nach ein wenig Näharbeit sieht so ein Kostüm dann wieder aus wie neu. Oft stellt sie auch mit einfachen Mitteln wie Tüchern und Blumenkränzen selbst ein individuelles Gewand zusammen. Für den Hauch Nostalgie, der ihre Bilder charakterisiert, braucht es meistens keine sonderlich aufwendigen Outfits.

Sollte es aber doch einmal etwas Spezielleres sein, borgt sie sich gerne Kleidung über den Kostümverleih im Landestheater. Ein toller Nebeneffekt eines Fundusbesuchs: „Die Menge an unterschiedlichen Kostümen ist schier unerschöpflich. Sie inspirieren mich gleich wieder zu neuen Ideen.“

Bestes Wetter: Bedeckter Himmel

Mit dem ausgewählten Model, dem Kostüm, und der Bildidee im Kopf heißt es nun, auf das beste Wetter zu warten. Für Gerda bedeutet dies nicht „Sonnenschein“, sondern „bedeckter Himmel“, denn sie bevorzugt gleichmäßiges, diffuses Licht, das ihren Fotos einen gewissen Retro-Touch verleiht. Harte Schatten, wie das Sonnenlicht sie erzeugt, stünden dem gewünschten Gefühl von Nostalgie entgegen.

Aber auch das kühle Licht am Morgen oder das warme, sanfte Licht am Spätnachmittag ist für ihre Fotos geeignet. Passt das Wetter gar nicht, sind natürlich auch Studiobilder machbar. Auch hier setzt sie das Licht möglichst sanft und diffus.

 Bedeckter Himmel ist gutes Wetter – gerade für nostalgische Aufnahmen!

 

Zwischen Anweisungen und „agieren lassen“

Ist das Model kostümiert, bespricht Gerda noch einmal im Detail, was sie gerne umsetzen möchte. Bei älteren Kindern und Jugendlichen gibt sie zwischendurch auch mal klare Anweisungen, während sie bei den Kleinen nur sehr sanft ins Geschehen eingreift und sie oft selbst agieren lässt – was durchaus sehr produktiv sein kann: Dabei entstehen nicht selten unerwartet ganz neue, faszinierende Bildaussagen, die auch der Künstlerin noch einmal einen neuen Blick auf ihre Idee eröffnen.

Stimmung verstärken

Alle Bilder bekommen ihren Feinschliff in Photoshop. Dafür nimmt sich Gerda oft sehr viel Zeit: Manchmal beansprucht die Bearbeitung viele Stunden, um die richtige Stimmung zu erzielen und die Bildaussage zu verstärken. Gerade, wenn Bildserien entstanden sind, müssen die Fotos auch einander angepasst werden, um den Seriencharakter zu behalten oder jeweils ganz andere Looks zu erzeugen.

Auf die innere Stimme hören

Wie aber gelangt man nun zu solchen Bilderwelten? „Anfänger sollten einfach auf ihre innere Stimme hören und das umsetzen, was sie fasziniert beziehungsweise das, wozu sie sich hingezogen fühlen“, meint Gerda. Sie rät Fotografen, in aller Ruhe passende Plätze und Orte auszusuchen und ein Notizbuch zu führen, denn oft manche man das Foto dort erst sehr viel später. Auch der nächste Schritt erfordert Geduld: das Warten auf das richtige Wetter. Diese Zeit lässt sich aber nutzen, die Bildidee zu reflektieren und wachsen zu lassen. Zugleich beinhaltet diese Phase auch eine gewisse Spiritualität – es geht um mehr, als nur um das Bildergebnis, das man am Ende in den Händen hält…

www.jaeggi-fotoart.com