von Jamari Lior
© Fotos Byes Photography
„Ich möchte nicht gefallen, ich möchte fesseln, den Blick und die Emotionen des Betrachters“ – das ist das Credo von Byes Photography. Dessen Werk umfasst zwar erst 28 Bilder. Allerdings hat jedes Einzelne unzählige Stunden für Konzeption und Bearbeitung in Anspruch genommen.
Bernds Frau war es schuld: Sie hat immer geschimpft, dass die Urlaubsfotos von ihr verhauen und unscharf seien. Kurzerhand schenkte sie ihm dann einen Fotokurs. Sonderlich bildend war dieser zwar nicht – leider hatten sie einen „Rudelshooten“-Workshop erwischt – und so war Bernd 2018 auf dem Stand „Photoshop Phillip“, wie er es nennt: „Einfach probieren und testen. So sah es auch aus …“
Im Internet entdeckte Bernd irgendwann dann ein Bild von Sascha Safdar, bekannt als „Mystic Moments“. So etwas wollte er auch können! Anfang 2018 fuhr er mit seiner Frau zur Burg Eltz, fotografierte sie in einem romantischen roten Kleid und kontaktierte daraufhin Sascha – zeitlich optimal, denn Sascha bot wenig später eine Akademie an. „Ich habe mich eingeschrieben ohne zu recherchieren, wo es ist“, erzählt Bernd. „Es fand im Saarland statt, 300 km entfernt.“ Bei Sascha gab es dann das positive Workshop-Erlebnis. Seither bildet sich Bernd international bei den Großen der Szene fort und lernt permanent Neues hinzu. Dabei fällt alles auf fruchtbaren, kunstvorgebildeten Boden, denn Bernd hat seit jeher gerne gemalt und sogar Auftragsarbeiten in Öl kreiert.
Als er berufsbedingt Malpausen einlegen musste, sammelte er Bücher, Kataloge und Bildbände rund um die Kunst. Dabei inspirieren ihn Barock, Rokoko, Renaissance und Realismus. Auch Symbolhaftigkeit spielt für seine Werke eine wichtige Rolle. Konkrete Inspirationen kommen für Bernd von überall: „Ich gehe permanent mit offenen Augen durch die Welt, sehe und nehme wahr, rieche, fühle, stelle mir in vielen Momenten Bilder vor, die ich am liebsten festhalten möchte. Ich nehme aus vielen Ländern Sachen, Objekte, Düfte und Erinnerungen mit, die mir helfen, meine Bilder zu gestalten. Früher bin ich alleine in die europäischen Hauptstädte geflogen, nur um mich den ganzen Tag in den Museen dort aufzuhalten. Allein der Louvre und das Britische Museum waren mir mehrere Besuche wert. Ein kleines Notizbuch habe ich immer dabei, gefüllt mit Zeichnungen und Ideen. Wenn ich davon genug zusammen habe, manifestiert sich der Gedanke der bildhaften Umsetzung.“
„Ich möchte nicht gefallen, ich möchte fesseln, den Blick und die Emotionen des Betrachters.“
Inspiration und Planung
Charakteristisch für Bernds Stil ist das teilweise surreale oder fantasiehafte Kombinieren und Neuinterpretieren alter Meisterwerke der Malerei. Nachdem er eine Inspiration vorskizziert, recheriert er, welche Epoche dazu passt und welche Requisiten angebracht sind. Dann erstellt er Moodboards, Bildsammlungen, die bei der Organisation helfen und dem Team die Idee näherbringen. Mithilfe von oftmals authentischen alten Requisiten, wohl komponierten Posings, ausgewählten Kostümen und der passenden Lichtsetzung arrangiert Bernd Sets, deren Planung durchaus auch Wochen in Anspruch nehmen können. Beim eigentlichen Shooting macht Bernd nie mehr als zehn bis 15 Fotos pro Szene, sodass ein Shooting maximal 20 bis 40 Fotos ergibt. Bilder, die nicht gefallen, werden sofort gelöscht. Der aufwendigste Teil des Arbeitsprozesses ist die Postproduktion mit Photoshop, Capture One und der Nik Collection.

Aufwendige Inszenierung und Bearbeitung im Stile alter Meister – ein typisches Werk von Bernd Schirmer alias Byes. Dem Künstler bedeutet dieses Werk, betitelt „Circe“, besonders viel, weil es als erstes Gemeinschaftsprojekt mit seinem Mentor Sascha Safdar Götz entstanden ist: „Wir haben das Set aufwendig zusammen auf einem Dachboden des alten Barockschlosses Münchweiler im Saarland aufgebaut, Sascha hat abgedrückt und ich habe es digital vollendet.“
Storytelling
Jedes seiner Bilder soll eine eigene Geschichte erzählen – mal versteckt, mal ganz offensichtlich: „Ich bin nicht der Street-Fotograf für das schnelle Bild oder den kurzen Moment, ich würde mich als visueller Fotografie-Artist-Maler bezeichnen. Genau wie bei einem Ölbild lasse ich mir für die Inszenierung und Bearbeitung Zeit, solange, bis das Werk meinen Ansprüchen gerecht wird.“ Diese Zeit ist etwas ganz Besonders für Bernd, er verbringt sie wie in Trance, und die Realität verschwindet für ihn.
Das Minotaurus-Projekt
Die Idee für das Minotaurus-Projekt entstand, als Bernd am Straßenrand ein paar alte Hörner sah, die jemand dort entsorgt hatte. Kurzerhand hielt er an und packte sie ins Auto. Lukas, ein Freund von Bernd, wollte schon länger für ihn als Model zur Verfügung stehen und da er ziemlich muskulös ist, entstand die Idee, etwas Altgriechisches umzusetzen – und der Minotaurus liegt da nahe.
Die Geschichte sollte in drei Werke aufgesplittet werden: Teil eins beschreibt die Moderne in Anlehnung an die Klassik: Minotaurus ist der moderne Mann in der heutigen Gesellschaft. Er gilt als das Bernds Meinung nach irrationale Leitbild des „starken Geschlechts“. Das Bild steckt voller Symbole: Die Kraken symbolisieren Poseidon, den Gott des Meeres, der blaue Vogel steht für die minoische Kultur, der Bindfaden für die Geschichte der Ariadne, die mithilfe eines Fadens den Held Theseus aus dem minoischen Labyrinth rettete. Die Säule steht für das antike Griechenland und dient zudem als Phallus-Symbol. Die Hörner können als Zeichen für einen „gehörnten“ Mann, betrogen durch die List einer Frau, verstanden werden. Die Hosenträger, die als Schutz von Entblößung gesehen werden können, stehen für die Verletzlichkeit.
„Minos Inferno“ steht für die innere Zerrissenheit. Der Minotaurus erscheint hier als Torero. Er symbolisiert den Konflikt rund ums Töten, das zugleich Befriedigung und Sünde ist, sowie den Kampf mit sich selbst. Die Rose steht für die Liebe zu einer Frau, jedoch ist sie im Begriff zu verwelken und impliziert damit auch den Verlust. Das Fluchttier „Hase“ ist als „Angsthase“ aufgegriffen. „Minos Inferno – Hasenjagd“ war bisher Bernds größtes Projekt, insbesondere, weil bei den vielen Einzelbildern jeweils die Lichtsetzung stimmen musste. Auch beim Shooting wurde dies von Anfang an berücksichtigt.

The Fallen Asterios or Minos Inferno – Rabbit Hunt: Dieses Werk, das bisher aufwendigste, trägt auch den wohl längsten Titel: „The Fallen Asterios or Minos Inferno – Rabbit Hunt“, fertiggestellt Ende 2020.
Das Bild „Minos Inferno – Hasenjagd“ hat eine Datengröße von mehr als 70 GB, aufgrund der Größe gesplittet auf circa 30 einzelne Dateien. Die Bearbeitung dauerte etwa 140 Stunden. Das Bild besteht aus acht Einzelbildern aus dem Shooting, sechs Fotos von Stieren, vier Background-Fotos, einem Bild vom Hasen, drei Bildern vom Umhang und Schleier, neun Bildern von Gravity Backdrops, zwei Bildern vom Gebirge, drei Bildern von Flügeln und zwei Bildern von Wolken. Am Ende ergaben sich über 300 Ebenen.
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