Schwindende Schönheit

Gletscher sind ein atemberaubendes Naturschauspiel, das durch den Klimawandel massiv bedroht ist. Jürgen Merz dokumentiert den Rückgang der Gletscherlandschaften fotografisch – und zeigt durch sie die Schönheit und Kunstfertigkeit der Natur.

von Benjamin Lemm © Fotos Jürgen Merz

Wenn wir von Klimawandel und globaler Erwärmung sprechen, klingt das für viele Menschen erst einmal sehr abstrakt. Wir sehen Berichte von schmelzenden Polkappen und von Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind, aber so richtig greifbar ist das Thema für uns oft nicht. Doch um die Auswirkung dieser Entwicklung hautnah zu erleben, müssen wir nicht erst ans andere Ende der Welt reisen. Auch in Deutschland hat der Klimawandel schon seit vielen Jahrzehnten gravierende Folgen. Ein trauriges Zeugnis dafür liefert der Rückgang unserer einst riesigen Gletscherlandschaften, die kurz davor stehen, endgültig zu verschwinden.

Jürgen Merz dokumentiert diese Entwicklung seit einigen Jahren fotografisch. Zum einen, um die Schönheit dieses Naturspektakels festzuhalten. Zum anderen aber auch, um mit seinen Fotos auf die gravierenden Folgen des Klimawandels aufmerksam zu machen.

Die Aufnahme stammt vom Persgletscher in den Schweizer Alpen (2020). Der Gletscher trägt an seinen Rändern das Gestein ab und trägt es mit ins Tal. Fließen Gletscherströme zusammen, bilden sich sogenannte Mittelmoränen aus dem abgetragenen Gestein.

Rasante Entwicklung

So richtig bewusst wurde ihm das Schwinden der Gletscher das erste Mal auf einer Reise durch Norwegen. „Ich hatte eher aus Spaß nach alten Postkarten Ausschau gehalten und bin auf ein paar Zeichnungen und alte Fotos gestoßen, die die Gletscherlandschaften des Landes darstellten. Mit Erschrecken musste ich dann feststellen, dass diese Landschaften heute so gar nicht mehr existieren“, beschreibt Merz. Daraus erwuchs ein Projekt, für das Merz alte Zeichnungen verschiedener Gletscherlandschaften mit aktuellen Fotos des jeweiligen Ortes gegenüberstellt. Der Vergleich zeigt, wie sehr sich die Umgebung innerhalb weniger Jahrzehnte verändert hat.

Dabei möchte Jürgen Merz nicht mit erhobenem Zeigefinger ermahnen, sondern versucht, den Menschen die Thematik durch seine Bilder näherzubringen. „Die Vergleichsbilder zeigen ganz konkret, welche Auswirkungen der Klimawandel auf unsere Umwelt hat. Das ist leichter zu verstehen, als wenn jemand vom steigenden Meeresspiegel spricht“, beschreibt er.

Wenn die Eisberge vom Gletscher abbrechen und anschließend im Erdboden einsinken, bleiben nach dem Abschmelzen diese sogenannten „Kettle Ponds“ zurück. Die unterschiedlichen Farben entsteht durch den Anteil an Verschmutzung im Wasser. Aufgenommen in Island, 2019.

Die letzte größere Ausdehnung der Gletscher in Deutschland geschah um circa 1850 herum – seitdem sind die Gletscher wieder auf dem Rückzug und das bedingt durch die Klimaerwärmung der letzten Jahrzehnte mit zunehmender Geschwindigkeit. 2022 war die Periode der Monate, in denen das Gletschereis schmilzt, länger als je zuvor. Ein scheearmer Winter, viel Saharastaub im Frühling und viele trockene und warme Sommertage sorgten dafür, dass Deutschland in diesem Jahr einen seiner fünf Gletscher verlor.

„Bevor ich mich mit dem Thema auseinandergesetzt habe, war mir natürlich schon bewusst, was da im Gange ist. Aber ich persönlich habe nicht so viel dagegen getan. Jetzt gebe ich mir im Alltag wesentlich mehr Mühe, kaufe Bioprodukte und habe meinen Fleischkonsum stark ein geschränkt“, beschreibt Jürgen Merz. „Ich versuche, nachhaltiger zu leben und sehe auch, dass jeder Einzelne seinen Teil dazu beitragen kann, den Klimawandel aufzuhalten. Aber vor allem sehe ich die Politik in der Verantwortung. Sie muss die Weichen stellen und dafür sorgen, dass alle mitziehen, sonst wird es sehr, sehr schwer.“

Abstrakte Gletscherkunst

Seine Leidenschaft für Gletscher und Vulkane kann Jürgen Merz bis in seine Kindheit zurückverfolgen. Eis und Schnee haben ihn schon fasziniert, solange er sich erinnern kann. Heute sind es vor allem die abstrakten Muster und Formen, die Gletscher in die Landschaft „malen“, die es dem 46-Jährigen angetan haben.

So liefert jeder Gletscher seine eigenen Formen, Farben und Strukturen, die sich im Laufe eines Jahres durch Frier- und Schmelzprozesse stetig verändern. Diese fängt Jürgen Merz mit einer Drohne aus der Vogelperspektive ein. Das hat auch den Vorteil, dass er an Orte gelangt, die zu Fuß sonst nicht erreichbar sind.

Doch bevor er seine DJI Mavic 3 Pro steigen lässt, beschäftigt sich der Fotograf eingehend mit der Lokalität, stellt Recherchen an und informiert sich über die Rahmenbedingungen. So ist es vor allem erst einmal wichtig, herauszufinden, ob man an dem entsprechenden Ort überhaupt mit der Drohne fliegen darf, denn längst nicht überall ist dies ohne Weiteres erlaubt. Mancherorts braucht man eine Genehmigung, bevor es in die Lüfte gehen kann. Außerdem muss das Wetter natürlich mitspielen. Zeitlich richtet er seine Fotoausflüge so ein, dass möglichst wenig Menschen unterwegs sind, wenn er fotografiert. Das bedeutet in der Regel: früh aufstehen. Bei seinen Ausflügen auf die Zugspitze und zum dortigen nördlichen Schneeferner zum Beispiel nimmt er stets den ersten Zug am Morgen – um niemanden zu stören und selbst nicht gestört zu werden.

Wenn Jürgen Merz losfliegt, gleitet er mit seiner Drohne über die Gletscheroberfläche und sucht nach spannenden Strukturen für seine Bilder. Dabei kann er über sein Smartphone den Bildausschnitt der Drohnenkamera sehen und sein Foto entsprechend gestalten. „Natürlich habe ich vorher oft schon ein paar Ideen im Kopf, aber durch die ständigen Veränderungen an den Gletschern kann man nie genau sagen, was einen vor Ort erwartet“, beschreibt er seinen kreativen Prozess. Meist fotografiert er im 90°-Winkel vertikal von oben herab, um die Muster auf der Gletscheroberfläche zu erfassen. „Ich sehe mich nicht als Künstler, sondern als Dokumentationsfotograf. Die Kunst schafft die Natur selbst. Ich halte sie mit meiner Kamera lediglich fest“, beschreibt er. Seine Aufgabe sei es, diese Schönheit aufzuspüren und festzuhalten.

Weiterfliegen

Angefangen hatte Merz vor 15 Jahren mit Menschen- und Produktfotografie. Doch seine Urlaube in Island entfachten in ihm die Freude an der Landschaftsfotografie, was schließlich auch zu den Drohnenfotos aus der Luft führte. Ein Ergebnis davon ist unter anderem das Buch “Abstract Iceland“, das Merz in Eigenregie verlegt hat und das auf knapp 100 Seiten die abstrakten Strukturen isländischer Gletscher zeigt.

In Zukunft möchte sich Jürgen Merz verstärkt den sterbenden deutschen Gletschern widmen und ihre Schönheit in einem weiteren Buch dokumentieren, bevor diese endgültig verschwinden. Außerdem stehen die Eisberge und Gletscher von Grönland auf seiner Bucket List. Auch die Gletscherlandschaften in Südamerika würden ihn interessieren. Aber ob es sich aus ökologischer Sicht wirklich verargumentieren lässt, dorthin zu fliegen? Wohl kaum, befürchtet Jürgen Merz.

Eisberge treiben in einer der Gletscherlagunen Islands herum. Die Ascheschichten sind dabei in den Eisbergen eingeschlossen und werden nun wieder frei.

Durch Ausstellungen möchte er außerdem weiter auf das Problem der Klimaerwärmung aufmerksam machen und über seine Fotografie mit den Leuten ins Gespräch kommen. Vielleicht lässt sich ja der ein oder andere Gletscher auf dieser Welt noch retten. Wollen wir es hoffen.

Die letzten deutschen Gletscher

Verglichen mit anderen Alpennationen verfügt Deutschland mit dem Blaueisgletscher, dem Hölltalferner, dem Watzmanngletscher, dem Schwarzmilzferner sowie dem nördlichen und südlichen Schneeferner nur noch über letzte kleine „Gletscherreste“. Der ursprünglich als „Plattferner“ oder „Schneeferner“ bezeichnete Zugspitzgletscher ist im Laufe der Klimaerwärmung des letzten Jahrhunderts in den nördlichen und südlichen Schneeferner zerfallen, wobei der südliche Schneeferner so gut wie nicht mehr vorhanden ist. Der nördliche Schneeferner ist heute der größte deutsche Gletscher, wobei davon auszugehen ist, dass Deutschland in einigen Jahren bis Jahrzehnten zunehmend seine Gletscher verlieren wird.

Jürgen Merz

Jürgen Merz (46) ist Dokumentarfotograf mit einem Fokus auf Gletscher und deren abstrakten Landschaften und Formen. Seine Projekte in den Alpen, in Norwegen und Island beschäftigen sich einerseits mit der Erstellung von Vergleichsbildern mit historischen Aufnahmen und andererseits dem Versuch, die Kunst von Mutter Natur zu dokumentieren. Auf diese Weise will er den Menschen den Klimawandel anders näherbringen und zeigen, welch wunderbare Kunst und Landschaft uns durch zunehmend steigende Temperaturen in Zukunft verloren gehen.

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