Lucas Zimmermann kreiert einmalige Bildserien aus dem scheinbar Alltäglichen. Dafür fokussiert er sich in der Fotografie besonders auf ein Gestaltungselement – das Licht.
von Paul Schulz © Fotos Lucas Zimmermann
Die Idee von einem Fotomotiv zog Lucas Zimmermann in einer nebligen Nacht nach draußen: „Eigentlich wollte ich meine Autoscheinwerfer fotografieren – im Grunde genommen ganz banal.“ Er fährt raus aus Weimar, um dem allgegenwärtigen Lichtüberfluss der Stadt zu entfliehen. Denn Licht setzt Zimmermann nur vereinzelt und bewusst in seinen Bildern ein.
Die Bilder, die er an diesem Abend schießt, sind tatsächlich eher normal: die Scheinwerfer seines Wagens im Nebel auf irgendeinem Feld. Nachdem er einige Fotos geschossen hat, macht er sich auf den Heimweg. Er wartet an einer Ampel. Schon auf der Hinfahrt war er hier vorbeibekommen. Doch jetzt fällt es ihm auf. Er parkt sein Auto in der Nähe, holt seine Kamera und sein Stativ aus dem Wagen und geht zurück zur Kreuzung. Drei Stunden verbringt Zimmermann hier und fängt ein, woran noch so einige Autofahrer an diesem Abend vorbeifahren werden: „Traffic Lights“.

Er wartet, bis Autos die Magnetstreifen der Ampel aktivieren und damit die Ampelphase einleiten. Fünf bis 20 Sekunden belichtet er dann die farbigen Leuchten der Ampel. Immer wieder wechselt er die Perspektive. Der dichte Nebel lässt das Ampellicht regelrecht aus den bunten Signalen quillen. Der Lichtkegel der sonst unscheinbaren Ampel an einer Kreuzung mitten im Nirgendwo wird durch den Nebel sichtbar gemacht.
Kunst oder Handwerk?
Schnell wird die Bildserie zum Hit. „Traffic Lights“ gewinnt 2014 den „Geschossen+Gedruckt“-Award. Auch als Zimmermann die Bildserie auf Instagram postet, verbreiten sich die Bilder wie ein „Leuchtfeuer“: „Die Serie kam glaube ich so gut an, weil es etwas so Alltägliches war, dass kein Fotograf wirklich beachtet hat.“ Das Alltägliche, gepaart mit dem dichten Nebel, den Zimmermann bis heute in so einer Stärke nicht wieder erlebt hat, war wohl das Rezept für den Erfolg der Aufnahmen.
Wirklich zufrieden war Zimmermann mit der Serie aber nicht: „Lange Zeit konnte ich mich mit der Arbeit nicht wirklich identifizieren, weil ich das Gefühl hatte, dass nicht ich diese Fotos wirklich gemacht habe. Die Serie hat sich einfach ergeben.“

Ein ganzes Jahr legt Zimmermann die Kamera zur Seite und hört auf zu fotografieren. „Durch den Erfolg von Traffic Lights hat sich bei mir auch ganz viel Druck aufgebaut. Ich wusste einfach nicht, was für eine Serie ich als Nächstes machen sollte.“ Erst nach einem Jahr findet er zur Fotografie zurück und mit der Zeit auch zu seinem Projekt „Traffic Lights“. Es habe einfach Zeit gebraucht, um darüber nachzudenken, wie „Traffic Lights“ in sein Portfolio passt. Die Trennung zwischen dem reinen fotografischen Handwerk und konzeptioneller Kunst musste ihm erst gelingen.
„Mal steckt man fünf Stunden in ein Projekt und es wird sehr erfolgreich, dann steckt man 500 Stunden in etwas anderes und es wird nur ‚okay‘.“ Man müsse auch lernen, die Unterschiede der Serien wertzuschätzen, so seine Erfahrung.
Letztlich, so erklärt Zimmermann, habe er für jede seiner Serien einen Impuls gehabt, dem er gefolgt sei. Solange er sich für ein Foto konkrete gestalterische Gedanken zu Licht oder Perspektive mache, sei das etwas anderes als Handwerk. Und genau das sei eben das Wichtige bei seiner Fotografie: das Nachdenken über das „Warum“ in den Fotos.
Dem Gefühl trauen
Inzwischen fühlt sich Zimmermann deswegen mit jeder Serie wohl, die er produziert hat: „Man muss einfach seinem Gefühl vertrauen.“ Die erste Serie, die Zimmermann veröffentlichte, war „Scars“. An einer „Dauerbaustelle“ auf der Autobahn fotografierte er nachts die Leitplanken – die einzigen visuellen Überreste von Tragödien. Da er möglichst unauffällig fotografieren wollte, war ein Blitz für ihn in dieser Situation keine Option. Durch das Licht seiner Handytaschenlampe treten in den Bildern die erneuerten Leitplanken an den Unfallorten besonders stark hervor. Diese „Narben“ geben der Serie ihren Namen.
„Ich kannte Lightpainting davor als Methode, um mit der Lichtquelle direkt etwas ins Bild zu malen, zum Beispiel Text oder Symbole.“ Dass man mit gezieltem Lightpainting auch eine studioähnliche Softbox nachahmen konnte, wurde ihm erst durch die Ergebnisse von „Scars“ bewusst.

Der Chaosfaktor
„Ich versuche, das Licht als fotografisches Element zu erforschen, indem ich mich auf seine reinste Form konzentriere: die Dunkelheit.“ Das Schöne an Lightpainting sei für ihn, dass es besonders draußen so unberechenbar sei: „Ich fand es schon immer spannend, mit Methoden zu arbeiten, die einem gar nicht die Möglichkeit geben, alles bis ins letzte Detail durchzuplanen.“
Man müsse sich automatisch mehr Zeit für die Fotos nehmen. Dadurch müsse er sich auch mehr Gedanken über Bildaufbau und Bildaussage machen. Für das Lightpainting muss Zimmermann vor der Kamera aktiv werden, mal den einen Teil des Bildes anleuchten, mal einen anderen: „Am Ende belichtet man jedes einzelne Bild bis zu 30 Sekunden; es dauert einfach und man ist gezwungen, eine gewisse Geduld mitzubringen. Die zahlt sich am Ende aus.“
Außerdem müsse man sich intensiv damit auseinandersetzen, wie das Licht in einem Bild genau entsteht. Besonders die digitale Fotografie gebe ihm die Möglichkeit, nach dem ersten Foto zu überdenken, welches Element er mehr und welches weniger anleuchten muss oder aus welchem Winkel das Licht besser wirkt.
Lightpainting per Drohne
Dass Lightpainting allerdings nicht immer als stressfreier Prozess abläuft, zeigte sich für Zimmermann in seiner Bildserie „Light of Longing“. Fast wie mit einem Bühnenlicht beleuchtet Zimmermann dafür Spielplätze, Bäume und Sträucher von oben. Früher brauchte man dafür aufwendige Licht-Aufbauten und Gerüste. Zimmermann genügten ein Blitz, eine Drohne, Klebeband und viel Geduld.
Der Zeitdruck entstand dann vor allem durch den kurzlebigen Akku der Drohne. Jeweils 15 Minuten Zeit hatte Zimmermann, um die Drohne erst zu kalibrieren, dann den Blitz zu befestigen und die Drohne sicher in der Dunkelheit über das Motiv zu manövrieren – einmal crashte die Drohne dabei in einen Baum.
Auch Angetrunkene, die sich mit Zimmermann gerne mitten in der Nacht über die Drohne unterhalten hätten, oder besorgte Anwohner, die dachten, ihnen würde mit der Drohne nachspioniert und die Polizei riefen, setzten Zimmermann bei der Arbeit immer wieder unter Druck.

Die finalen Bilder fanden für Zimmermann unter dem Begriff „Sehnsucht“ einen gemeinsamen Nenner. Er präsentierte die Arbeit in Leuchtkästen, die die Beleuchtung für ihn zusätzlich perfektionierten: „Besonders die Arbeit mit dem Schwarzraum und dem Spiel zwischen dem, was man sieht, und dem, was man nicht sieht, verstärken für mich dieses Gefühl, das man hat, wenn man eine Sehnsucht verspürt.“
Bilder mit Meinung
Zimmermanns Serien können aber auch plakativ sein: In seiner Fotoreihe „Solitude Palace“ widmet er dem Smartphone einen Platz in seinem Portfolio. Einem Gerät, das uns „alle verbindet und gleichzeitig trennt“. Dafür begleitete er Menschen bei ihrer abendlichen Smartphone-Routine an einem der intimsten Orte: im Bett. „Außer ein paar Puristen browst inzwischen eigentlich jeder, den ich kenne, im Bett noch mal eine halbe Stunde am Handy. Aber ich glaube, wie das von außen aussieht, haben sich die wenigsten bewusst gemacht.“ So erstrahlt der Handybildschirm förmlich die Gesichter der Fotografierten und leuchtet nebenbei noch das ganze Zimmer aus.
Mit seiner Bildserie „Tent“ will er auf die Umweltverschmutzung aufmerksam machen, die durch den Müll der Bergtouristen entsteht. Dafür ging er nachts auf einen Werkstoffhof und kreierte typische Bergsteiger-Bilder: Er leuchtete das Innere des Zelts aus und belichtete mehrere Sekunden den nächtlichen Sternenhimmel. Der Berg – ein großer Müllhaufen.
Das mit dem Sternenhimmel funktionierte allerdings nicht so gut, wie geplant: „So nah an der Stadt hat man eben doch eine ganz andere Lichtverschmutzung als im Hochgebirge. Um das Bild zu bekommen, das ich am Anfang im Kopf hatte, musste ich digital den Himmel austauschen.“ Damit sei er nicht so zufrieden gewesen. Er setzt seine Bildideen lieber kameraintern um: „Für mich ist die Fotografie immer das Einfangen von etwas Realem. Es ist wesentlich einfacher etwas in der Aufnahme zu erzielen als in der Postproduktion.“
Digitale Kunst
Nach einer längeren Fotografie-Pause möchte Zimmermann in der Zukunft bewusster Postproduktion nutzen, um Licht als fotografisches Gestaltungselement zu erforschen. Die Lichtquelle möchte er in seiner nächsten Serie zeigen und digital zum Lightpainting „dazu rendern“ – eine Synthese aus Fotografie und digitaler Kunst kreieren: „Die Serie finde ich besonders interessant, weniger, weil sie ästhetisch oder konzeptionell besonders spannend ist, sondern eher, weil sie mich herausfordert, mich intensiver mit Lichtstimmung auseinanderzusetzen.“
An Lightpainting fasziniert ihn besonders, einen Teil der Kontrolle über das finale Foto an das Spiel aus Licht und Dunkelheit abzugeben: „Man muss sich nach jedem Bild neu tarieren, aber am Ende wird man immer besser. Ich finde diese Unberechenbarkeit, wie sich das Licht letztlich verhält, sehr bereichernd.“
Lucas Zimmermann
Lucas Zimmermann absolvierte ein Studium der visuellen Kommunikation an der Bauhaus-Universität in Weimar, wo er anschließend als Gastdozent tätig war. Mittlerweile hat Lucas seinen beruflichen Schwerpunkt verlagert und arbeitet als Veranstaltungsingenieur an der Implementierung von Nachhaltigkeitsmanagementsystemen in Kultureinrichtungen. In der Fotografie setzt er sich intensiv mit den emotionalen und physikalischen Eigenschaften von Licht auseinander.
Instagram: lucas.zimmermann.photo
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