Volkmar Specht hat ein Faible für Vergänglichkeit und ein Auge für ungewöhnliche Motive. Durch die fotografische Kombination gelingen ihm immer wieder echte Kunstwerke, die so wohl den wenigsten Fotografen glücken.
von Benjamin Lemm, © Fotos Volkmar Specht
Wer viel fotografiert, weiß, dass interessante Fotomotive quasi überall zu finden sind. Wichtig ist dabei vor allem, dass man den Blick für ebendiese schärft, aufgeschlossen bleibt und auch mal etwas Neues probiert. Dieses Credo hat sich Volkmar Specht auf die Fahne geschrieben – und treibt es auf die Spitze, denn er findet sogar dort noch Motive, wo selbst die erfahrensten Fotografen die Kamera stecken lassen.
Besonders faszinieren ihn dabei „morbide“ Aufnahmen, wie er sie nennt, also Fotos von Abnutzung und Verfall. Alte, verlassene Industrieanlagen und Lost Places sind Orte, an denen er sich fotografisch so richtig austoben kann. „Es ist der Charme des Verfalls, der mich besonders in den Bann zieht. Dabei geht es auch um Vergänglichkeit: Orte, die früher bewohnt und belebt waren, stehen nun verlassen und leer. Und die Natur erobert sich vieles wieder zurück. Das finde ich irgendwie spannend“, beschreibt er seine Faszination. Besonders in den neuen Bundesländern hat er immer wieder solche fotografischen Schätze entdeckt.
Oberflächen und Strukturen
Zu den morbiden Aufnahmen passt auch seine neue Leidenschaft für Strukturen. Denn eine ganz besondere Spezialität von Volkmar Specht ist es, Oberflächen mit interessanten Mustern zu entdecken und fotografisch in Szene zu setzen. Die Ergebnisse sind faszinierend, abstrakt und malerisch zugleich. Auf den ersten und auch zweiten Blick weiß man oft gar nicht, worum es sich eigentlich handelt – und genau das macht diese Fotos so außergewöhnlich und spannend.
„Ich habe irgendwann erkannt, dass man, wenn man sehr nah an die Dinge herantritt, überall viele interessante, kleine Motive finden kann – man muss nur genau hinsehen. Und dann ist es möglich, daraus abstrakte Bilder zu zaubern. Auch hier spielt übrigens der Charme des Verfalls eine große Rolle, denn viele der Strukturen, die ich finde und fotografiere, entstehen erst durch den ‚Zahn der Zeit‘.“
Diese Motive findet Specht an ganz verschiedenen und oft ungewöhnlichen Orten: Mal ist es die Rückseite eines verrosteten Straßenschildes, ein anderes Mal schmelzender Schnee im Schlamm. Unser persönlicher Favorit sind jedoch die Abriebe von Kleidung und Schuhsohlen, die Volkmar Specht auf ein paar weißen Kunststoffmöbeln im öffentlichen Raum gefunden hat. „Da haben Leute ungewollt und unbewusst ein Bild gemalt – ich habe es nur entdeckt“, erklärt der Fotograf. „Ich bin immer sehr wachsam, wenn ich unterwegs bin und ertappte mich hin und wieder dabei, wie ich beinahe schon manisch nach solchen Motiven Ausschau halte. Ich möchte für mich in Anspruch nehmen, dass viele dieser Motive so wohl noch nie jemand entdeckt hat“, beschreibt er stolz seine Funde. „So etwas muss man erstmal sehen und dann auch erkennen, dass sich hier ein durchaus interessantes Fotomotiv verbirgt.“
Abstrakte Fotokunst
Der große Interpretationsspielraum, den seine Bilder zulassen, macht seine Kunst besonders interessant. Er erzählt, dass er von verschiedenen Betrachtern immer ganz unterschiedliche Antworten und Vermutungen zur Herkunft der Strukturen erhält. Nur sehr selten liegt der Betrachter richtig – aber darum geht es auch nicht. Es ist die Bedeutung, die er aus dem Werk für sich herauszieht, die am Ende zählt, unabhängig von dem, was der Künstler sich vorher dabei gedacht hat oder was sich hinter dem Motiv verbirgt.
Ein großer Teil seiner Bilder entsteht sowieso eher durch Zufall, wie er selbst sagt. Zwar geht Volkmar Specht auch manchmal gezielt hinaus, um bestimmte Motive zu fotografieren. Die meiste Zeit jedoch entdeckt er sie, wenn er sowieso schon unterwegs ist. Deswegen hat er oft seine kleine Kompaktkamera dabei, eine Canon Powershot SX270 HS, die ihn auf Schritt und Tritt begleitet und immer zur Stelle ist, wenn er gerade mal eine besonders interessante Struktur entdeckt hat. Und wenn er mal keine Kamera dabeihat, muss eben das Smartphone herhalten. Hin und wieder kehrt er dann später mit seiner „Hauptkamera“, einer Canon 6D, zurück, um sich den entdeckten Strukturen noch intensiver zu widmen.
In der Bildbearbeitung im Nachgang bemüht er sich, möglichst wenig zu verändern, geht sehr behutsam vor und arbeitet lediglich die Farben ein wenig heraus – das Kunstwerk an sich soll eben in der Fotografie entstehen und nicht später künstlich am Computer erzeugt werden.
Volkmar Spechts Top-Drei-Tipps für Fotos von Strukturen
1. Schulen Sie Ihr Auge. Suchen Sie gezielt nach ungewöhnlichen Struk-
turen und Oberflächen und halten Sie sie fotografisch fest. Je mehr Sie sich mit der Thematik auseinandersetzen, desto mehr Motive werden Ihnen mit der Zeit auffallen.2. Nehmen Sie sich Zeit für Ihr Foto. Wenn Sie eine interessante Struktur gefunden haben, sollten Sie diese eingehend betrachten und sich überlegen, wie Sie diese fotografisch in Szene setzen können. Probieren Sie verschiedene Perspektiven, Bildausschnitte und Kameraeinstellungen aus und schauen Sie, wie das entstandene Bild wirkt.
3. Behalten Sie das Endprodukt im Hinterkopf. Stellen Sie sich beim Fotografieren vor, wie das Foto als gerahmtes Bild oder hinter Acrylglas wirken könnte. Überlegen Sie auch, wie Sie das Foto später in der Nachbearbeitung anpassen können und an welchen Stellschrauben Sie drehen müssen, um die fotografierten Farben und Formen noch besser hervorzuheben. Denn diese Parameter haben unmittelbar Einfluss auf die Art und Weise, wie Sie das Foto vor Ort schießen müssen.
Das Besondere sehen
Dass Volkmar Specht sich diese außergewöhnliche Nische gesucht hat, hebt ihn klar von anderen Fotografen ab, denn nicht viele Fotografen beschäftigen sich so intensiv mit Oberflächenstrukturen. Seine Werke fallen also auf, stechen aus der Masse heraus und bieten ihm so ein Alleinstellungsmerkmal. Genau das rät er auch anderen Fotografen: „Wenn man als Fotograf auffallen möchte, muss man sich seine eigene Nische suchen. Denn wenn man dasselbe fotografiert wie alle anderen, ist es nichts Besonderes mehr. Klar kann man trotzdem schöne Fotos machen, aber die sind dann ziemlich austauschbar und bleiben kaum jemandem im Gedächtnis“, beschreibt er.
Eine weitere fotografische Passion Spechts – und eine gänzlich gegensätzliche – sind Bäume. Er beschreibt sich selbst als naturverbundenen Menschen, der gerne draußen unterwegs ist und seine Eindrücke fotografisch festhält. Specht hat eine wirklich große Sammlung von Baum-Fotos. Oft handelt es sich dabei um einzeln stehende Bäume, aber auch Baumgruppen oder Baumreihen wie in einer Allee sind in seinem fotografischen Fundus. „Bäume finde ich unglaublich faszinierend. Gerade bei alten Exemplaren frage ich mich oft, was sie schon alles erlebt haben und was sie erzählen würden, wenn sie sprechen könnten“, beschreibt er. Außerdem sehen sie zu allen Jahreszeiten unterschiedlich aus, was ihnen eine zusätzliche Dimension verleihe, so Specht. Auch sei es in Zeiten des Klimawandels leider nicht mehr so selbstverständlich, dass es überall schöne Bäume gibt. Umso wichtiger sei es, sie zu fotografieren.
Das Ich im Bild
„Ich bin ein kreativer Mensch, deswegen würde mich die Büroarbeit alleine nicht erfüllen. Die Fotografie bietet mir die Möglichkeit, mich kreativ auszuleben und auszudrücken. Das ist das Schöne an der Kunst: Man bringt seine eigene Persönlichkeit mit ein und kann das ‚Ich‘ in Bildern festhalten“, reflektiert Volkmar Specht. So finde man in seinen Fotos vor allem seine Liebe zum Detail wieder. Er sehe Dinge, die viele andere Menschen wahrscheinlich übersehen und erkenne Ästhetik im Unscheinbaren, Verborgenen. Das Gefühl, nach einem Ausflug oder Spaziergang ein gutes Foto mit nach Hause nehmen zu können, ist für Volkmar Specht außerordentlich befriedigend.
Viele dieser Aufnahmen präsentiert Specht seit 2001 immer wieder in Ausstellungen, meist in kulturellen Einrichtungen wie zum Beispiel Stadtbibliotheken. Oft wählt er dafür ein Thema wie eben Bäume, Industrie oder auch Strukturen. Und so will er es weiterhin halten. Für die Zukunft will Volkmar Specht sich außerdem ein Makroobjektiv zulegen, um noch näher an seine Motive herantreten zu können. Denn das eröffnet unzählige, neue Möglichkeiten und macht Strukturen zugänglich, die er so sonst nicht einfangen könnte. Wir sind gespannt, was er noch so alles entdeckt.
Volkmar Specht
Volkmar Specht (58) ist Diplom Verwaltungswirt und arbeitet in der Stadtverwaltung seines Heimatorts Remscheid. Die Fotografie ist seit Ende der 1980er-Jahre für ihn vor allem ein willkommener Ausgleich. Seine Schwerpunkte liegen dabei auf morbiden Aufnahmen, Bäumen und in jüngster Zeit vor allem auf abstrakten Bildern von Strukturen.
www.volkmar-specht.de
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