Gute gebrüllt, Löwe
Mit der Leica SL hob das hessische Traditions-Unternehmen ein komplett neues Kamerasystem aus der Taufe und setzte mit der 24 Megapixel-Vollformat-Systemkamera nicht nur in Sachen Serienbildgeschwindigkeit und Videofeatures in ihrer Klasse Maßstäbe.
Von Hans-Günther Beer
© Fotos Hans-Günther Beer
Die Aufregung war groß, als die ersten Fotos und technischen Details der neuen Profikamera von Leica durch das Web geisterten. Wie heute üblich gab es auch sofort klare Statements von „Fachleuten“, obwohl diese die Kamera noch nie in der Hand hatten. Den einen war das Design zu preußisch reduziert oder gar hässlich, den anderen die Kamera nicht ergonomisch genug gestaltet oder zu groß, oder zu klobig oder was auch sonst immer. Fakt ist, Leica hat mit der SL eine gestandene Systemkamera auf den Markt gebracht, die in Sachen Verarbeitung, Bildqualität und Ausstattung mindestens auf Augenhöhe mit den Topmodellen von Canon und Nikon steht und diese teilweise sogar deutlich übertrifft. Dies war zumindest der Stand Ende 2015, als die neuen Boliden Canon EOS- 1D X Mark II und Nikon D5 noch nicht in Sicht waren. Der Gehäusepreis liegt mit 6.900 Euro ebenfalls in vergleichbarer Größenordnung.

Auch die Gehäuseoberseite der SL ist sehr aufgeräumt: Ganz links unter der Abdeckung der GPS-Empfänger, das quadratische LCD-Display rechts ist auch bei hellem Umgebungslicht sehr gut lesbar.
Ausstattung und Bedienung
Nimmt man die Leica SL zum ersten Mal in die Hand, wirkt sie auf Anhieb sehr elegant, größer als vermutet und beachtlich schwer. Gegenüber einer Sony Alpha 7R II kommt sie deutlich voluminöser daher, im Vergleich zu einer D4/D5 oder EOS-1D X jedoch regelrecht zierlich. Das sehr geradlinig gestaltete, äußerst hochwertige Gehäuse ist aus einem Aluminiumblock gefräst und lag uns Testern ausgesprochen gut in der Hand. Es gibt aber auch Fotografen, die mit der Form nicht zurechtkommen und sich einen ergonomischer gestalteten Griff gewünscht hätten. Womöglich liegt dieses Fremdeln aber auch an der sehr eigenen Bedienphilosophie der SL, die für Umsteiger eine Herausforderung darstellen kann. Dabei kennen wir derzeit keine Kamera, deren Bedienelemente derart klar und akkurat angeordnet wurden, das Layout könnte auch von der Designerlegende Dieter Rams (Braun) stammen. Alle Bedienelemente sind sehr gut erreichbar und auch im Blindflug sofort zu finden. Das gilt insbesondere für die vier Funktionstasten, die rund um das 3-Zoll-Touchscreen-Display angeordnet sind. Diese haben je nachdem, ob man kurz oder länger drückt, unterschiedliche Funktionen, die im Display jeweils neben der entsprechenden Taste gut lesbar angezeigt werden. Hat man sich erst einmal daran gewöhnt, geht dieses Bedienkonzept schnell in Fleisch und Blut über, man bedient die Tasten blind, auch ohne hinzugucken. Auch die Menüstruktur unterscheidet sich von vergleichbaren Kameras, ist aber logisch strukturiert und vor allem sehr übersichtlich. Alle Funktionstasten der SL lassen sich, wie heute üblich, individuell programmieren. Außerdem kann man sich eigene Userprofile mit speziellen Konfigurationen zusammenstellen und bei Bedarf abrufen. Ähnlich wie bei der Mittelformat-Leica S besitzt auch die SL auf der sehr aufgeräumten Gehäuseoberseite ein quadratisches Display, das einen Überblick über die wichtigsten Einstellungen gibt. Das Display ist gut ablesbar und zeigt beim Einschalten der Kamera einen Begrüßungsbildschirm mit der aktuellen Firmwareversion. Eine weitere Besonderheit der SL ist der integrierte GPS-Empfänger, der unter einer Kunststoffkappe links auf der Gehäuseoberseite sitzt. Dessen Empfindlichkeit ist derart hoch, dass er, nachdem die Satelliten einmal aktuell registriert wurden, selbst in Innenräumen die GPS-Position kennt.
- Die SL bietet alle wichtigen Schnittstellen, über den HDMI-Ausgang in robuster Standardgröße liefert die SL Videosignale im 4.2.2 10-Bit-Format.
- Der Obere der beiden SD-Karten-Plätze besitzt eine schnelle UHS IISchnittstelle.
Ein absolutes Highlight der SL ist allerdings der große elektronische Sucher mit einer bislang nicht dagewesenen Auflösung von 4,4 Megapixeln. Dank der 0,8-fachen Vergrößerung erscheint das Sucherbild riesig, ist erwartungsgemäß extrem scharf, selbst feinste Details kommen plastisch und kontrastreich. Das manuelle Scharfstellen mit Leica-R-Objektiven war im Test ein Genuss. War etwa ein manuell zu fokussierendes Objektiv, beispielsweise ein Apo Elmarit 4,0/280mm, per kombiniertem M-/T-Adapter (siehe Foto) montiert, aktiviert ein Druck auf den kleinen, neben dem Sucher angeordneten, griffig gummierten Joystick, der auch beim Manövrieren durch die Menüs eine große Hilfe ist, die einstellbare Suchervergrößerung. Das präzise manuelle Scharfeinstellen gelang so um Größenordnungen besser und treffsicherer als mit jedem optischen Sucher. Um auch S- und R-Objektive an der SL nutzen zu können, sind für die zweite Jahreshälfte entsprechende Adapter angekündigt. Gut Ding will wohl Weile haben. Mit welcher Akribie und welchem Sinn für praktische Kleinigkeiten die Entwickler ansonsten zu Werke gehen, zeigen beispielsweise Details wie die Verdrehsicherung vor dem Stativanschluss oder die Sicherungsverrriegelung für den großen Lithium- Ionen-Akku (Kapazität 1860 mAh). Auch ein WLAN-Modul besitzt die SL, allerdings konnte während des Testzeitraums, Januar 2016, weder die entsprechende Smartphone-App noch die angekündigte Thethering-Software getestet werden, da noch nicht fertiggestellt. Für Studioaufnahmen nimmt die SL via herkömmlichen USB-3.0-Ansschluss Kontakt mit dem Computer auf, konsequent und Leica-like wäre allerdings eine stabile Lemo-Steckverbindung gewesen, wie sie das S-Modell besitzt. Zwei Kartenfächer auf der rechten Gehäuseseite, eines davon mit dem schnellen UHS IIInterface, nehmen schnelle SD-Karten auf. Leica empfiehlt hier derzeit ausschließlich Toshiba Exceria PRO-Karten, um die hohen Transfergeschwindigkeiten sicherzustellen, denn die SL kann große Datenmengen produzieren. Die maximale Serienbildgeschwindigkeit beträgt 11 Bilder pro Sekunde und der Pufferspeicher fasst maximal 33 Aufnahmen im RAW/Format (DNG) oder 30 RAW- plus JEPG-Aufnahmen. Im Test zeigte sich nun folgendes Phänomen: Nach drei Sekunden im High- Speed-Modus war wie erwartet der interne Pufferspeicher voll und die Kamera mit dem Abspeichern auf die im Test verwendete 16 GB Toshiba Exceria PRO-Karte beschäftigt. Dafür benötigte sie allerdings pro Aufnahme selbst über die schnelle UHS-II-Datenschnittstelle zirka 1,2 Sekunden, statt der nach Rücksprache von Leica zu erwartenden 0,2 Sekunden. Theoretisch sollte der Pufferspeicher nach weltmeisterlichen sechs Sekunden, statt wie im Test nach mehr als 40 Sekunden, komplett geleert sein – Leica untersucht derzeit das Phänomen, wir werden berichten.
- Die Funktionstasten der SL lassen sich individuell programmieren.
- Mit der Taste links unten wählt man das Aufnahmemenü.
- Im Setup kann man wählen, ob eine Sicherungskopie angefertigt wird.
- Der GPS-Empfänger der SL ist sehr empfindlich.
- Der Autofokus kennt drei Betriebsmodi und ist bei genügend Licht schnell und präzise.
Autofokus in der Praxis
Demnach wäre die Leica SL in der Tat eine sehr schnelle Kamera, auch und insbesondere für die Sportfotografie. Zumal laut Leica auch der Autofokus neue Maßstäbe für Systemkameras setzen soll. In der Praxis übertraf der Kontrast- Autofokus in der Tat unsere Erwartungen. Er reagiert in Verbindung mit dem VARIO ELMARIT-SL 1:2,8-4/24-90mm ASPH nicht nur blitzschnell, sondern enorm treffsicher, keine Verzögerung, kein Pumpen – eine sehr gute Leistung, wie man das von einer Profikamera erwartet. Dies änderte sich auch nicht im Modus „dynamischer Autofokus“ beim Verfolgen sich bewegender Objekte – beim seitlichen Mitziehen oder bei Objekten, die sich sehr schnell auf den Fotografen zubewegen. Stellte man die AFFeld- Größe auf „9 Felder“, krallte sich der Autofokus am Objekt regelrecht fest und sorgte durchweg für scharfe Serienbildaufnahmen. Ausschuss gab es so gut wie keinen – ein Top-Ergebnis, das mit dem einer Nikon D4 ohne Weiteres mithalten konnte. Lediglich bei weniger Aufnahmelicht ließ die Treffsicherheit des dynamischen Autofokus der SL nach, hier war der Phasenautofokus einer D4 im Vorteil.

Die Rückseite der SL lässt sich sehen: Oben, rechts neben dem 4,4 Megapixel-Sucher, der gummierte Joystick. Die vier um das Display angeordneten Tasten folgen einer eigenen, konsequent umgesetzten Bedienphilosophie.
Die Videofunktionen der SL
Die Leica SL ist eine echte 4K-Kamera, die mit einer Auflösung von 4.096 2.160 bei 24p über den HDMI-Ausgang im 4.2.2 10 Bit-Format auf externe Recorder und intern mit 4.2.0 im 8 Bit-Format auf SD-Karte aufzeichnet. Im MP4 Format sind Frameraten bei HD-Auflösung (1.920 x 1.080) von 120 Bildern pro Sekunde möglich. Damit ist die SL beispielsweise einer Sony Alpha 7S II in Sachen Farbabtastung zumindest bei Aufnahmen auf externe Rekorder klar überlegen und empfiehlt sich auch für professionelle Videoproduktionen.
- Im Modus „Serie schnell“ schafft die SL 11 Bilder pro Sekunde.
- Es lassen sich mehrere Benutzerprofile für verschiedene Aufnahmesituationen anlegen.
- Das Videomenü geriet umfangreich und bietet eine S-Log ähnliche Gammakurve.
- Die SL bietet echten 4K-Modus 24 fps. Im HD-Modus stehen 120 fps zur Verfügung.
- Vor dem Testzeitraum erschien das erste Firmware- Update auf 1.2.
Die Bildqualität
Schärfe und Kontrastumfang des 24-Megapixel- Vollformatsensors liegen auf höchstem Niveau und die SL liefert durchweg sehr scharfe, hochaufgelöste, sehr plastisch wirkende Aufnahmen. Dies gilt für Empfindlichkeits- Werte bis 1600 ISO ohne Einschränken, Farbrauschen tritt nicht auf. Selbst bei 6400 ISO ist nur eine leichte Zunahme von Farbrauschen feststellbar und selbst bei 12.500 ISO lassen sich mit der SL sehr saubere, erstaunlich wenig verrauschte Aufnahmen anfertigen, die ohne Weiteres selbst für anspruchsvolle Produktionen taugen. Der Kontrastumfang nimmt nur um ein bis zwei Blenden ab – ein exzellentes Ergebnis.
Fazit
Leica hat mit der SL nicht nur ein neues Kamerasystem auf den Markt gebracht, sondern in vielerlei Beziehung zu vergleichbaren Produkten aufgeschlossen oder diese sogar übertroffen. Die SL ist eine famose, sehr schnelle Profikamera, exzellent verarbeitet mit extrem schnellen, treffsicheren Autofokus, einem wunderbaren Sucher und einer kompletten Ausstattung, die ganz sicher nicht nur unter Leica-Jüngern Furore machen wird. Der Gehäusepreis ist zwar happig, geht aber angesichts der gebotenen Qualität und Ausstattung absolut in Ordnung und ist vergleichbar mit dem der unmittelbaren Mitbewerber. Gut gebrüllt, Löwe.
Leica SL
Hersteller Leica Camera AG
Vertrieb Leica Camera AG, Am Leitz-Park 5, 35578 Wetzlar, www.leica-camera.com
Preis [UVP] 6.900 € Gehäuse
Technische Daten/Ausstattung
Typ Systemkamera
Gehäuse Aluminium gefräst
Staub- und Spritzwasserschutz P
Objektivbajonett/Objektiv fest eingebaut Leica L/-
Sensortyp/Prozessor CMOS (Vollformat) ohne Tiefpassfilter/Majestro II
Sensorauflösung/Bildgröße 24 MP/6000 x 4000 Pixel, APS-C (10 MP) 3936 x 2624 Pixel
Bildformate RAW (14 Bit), JPEG
Bildstabilisator – (im Objektiv)
Sensorreinigung Ultraschallfilter
Sucher/Vergrößerung elektronisch, 4.400.000 Punkte/ 0,8 fach
Dioptrienkorrektur -4.0 bis -2.0 (20 mm Austrittspupille)
Bildschirm/Auflösung/klappbar/schwenkbar 3-Zoll/1.040.000 Pixel/-/-
Programm-/Zeit-/Blendenautomatik P/P/P
Belichtungsmessung Mehrfeld/Integral/Spot P/P/P
Belichtungskorrektur/ Belichtungsreihen ± 3 EV in 1/3- bzw 1/2-EV-Stufen
Weißabgleich Auto/manuell/Kelvin/Reihen P/P/P/-
Empfindlichkeit ISO 50-50.000
Verschlusszeiten/Blitzsynchronisation Schlitzverschluss 60-1/8000s/ 1/250s
Bulb-Modus maximal 30 Minuten
Selbstauslöser P (2s/12s)
Intervalltimer P
Bildsequenzen 4, 7, 11 Bilder/s
Pufferspeicher 33 RAW, 30 RAW+JPEG
Fokussiersystem Kontrast-Fokussierung
Fokuspunkte 37/49 Messfelder, Gruppen (9 Messfelder), einzelnes
Messfeld groß und klein
Fokusmodi Manuell, single, kontinuierlicher AF (AF-Tracking)
Fokus-Peaking/ Vergrößerung P/P
AF-Hilfslicht P
Gesichterkennung P
Externer Blitz steuerbar Master-/Slave-Modus –
Touchscreen P
Livebild/mit Autofokus P/P
Wasserwaage P
Schnittstellen USB 3.0, HDMI 1.4, externes Mikrofon, Kopfhörer
Speicherkarten 2 SD-Karten (SDXC-, UHS-II-/UHS-I-kompatibel)
WLAN P (Fernsteuerung via App, Bilderdownload)
GPS P
Videoformat MP4, MOV
Videoauflösung 4K (4096 x 2160): 24 Bilder/s, HD:24, 25, 30, 50, 60, 100,120 Bilder/s
Farbabtastung/Bitrate 4:2:2/10 bit (HDMI-Ausgang), 4:2:0/8 bit (SD-Karte)
Timecode P
HDMI-Live View P
Tonaufnahme Stereo, PCM/16 Bit, 48 kHz, Wave Format
Abmessungen (B x H x T) 147 x 104 x 39 mm
Gewicht 847 g (Inklusive Akku und Speicherkarten)
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