Sie haben Feuer gefangen und möchten Ihre Reisefotografie-Skills verbessern? Versuchen Sie, „Ihr“ Reisethema zu identifizieren und es in Form einer Serie festzuhalten.
von jamari Lior © alle Fotos Jamari Lior
Für Ihr eigenes Reisethema bedarf es meist einiger Vorarbeit. Informieren Sie sich noch vor der Reise intensiv über den anvisierten Ort: Was gilt als typisch? Was interessiert Sie besonders? Können Sie Parallelen zu Ihrem eigenen Leben finden?
Themenwahl
Um es sich nicht zu schwierig zu machen, sollten Sie folgender Frage besondere Aufmerksamkeit schenken: Was ist für Sie gut fotografierbar? Das ist eine ganz individuelle Frage, deren Beantwortungen Ihnen dabei helfen wird, ein Thema zu finden, das Ihnen Freude bereitet und die Chance toller Bildergebnisse steigert. Allerdings handelt es sich auch um eine sehr komplexe, vielschichtige Frage, die technische, persönliche, ethnografische und viele weitere Aspekte umfasst. Betrachten wir sie genauer: Vielleicht finden Sie manche Rituale, wie etwa fremdländische Hochzeiten oder andere Feste, sehr spannend. Sie haben schon Dokumentarfilme darüber gesehen und versprechen sich ein bildstarkes und inhaltlich interessantes Thema. Allerdings merken Sie dann vor Ort, dass Sie nicht so leicht fündig werden. Sie lernen vielleicht einfach kein Pärchen kennen, das gerade heiratet, oder Sie dürfen als Kulturfremder einer bestimmten Tempelzeremonie nicht beiwohnen. Als Mann dürfen Sie oft nicht in die Frauenbereiche und haben gar nicht die Chance, mitzuerleben, wie sich die Frauen zu einem Fest mit Hennafarbe Muster auf die Hände auftragen. Als Frau hingegen bleibt Ihnen manchmal der Zutritt zu Männerrunden versagt. Bisweilen gelingt es, über gute Vorbereitung Zugangsbarrieren zu senken: So können Sie schon vor der Reise über die sozialen Medien in Kontakt mit Einheimischen treten, etwa mit bestimmten religiösen Verbänden, und sich nach Fotomöglichkeiten erkundigen. Natürlich gibt es aber auch Orte, an denen Fotografie generell nicht gerne gesehen wird oder gar verboten ist, oder wo es einfach der Anstand verlangt, seine Kamera eingepackt zu lassen.
Auch jahreszeitliche Begrenzungen sollten Sie einkalkulieren. Das ist selbstverständlich besonders wichtig, wenn Sie ein vegetationsgebundenes Thema fasziniert. Doch auch andere Themen profitieren vom richtigen Licht: Viele Urlaubsorte sind gerade dann beliebt, wenn sie eine Sonnenscheingarantie aufweisen. Oftmals ist der pralle Sonnenschein aber nicht das beste Fotowetter. Bedeckter Himmel erleichtert die Aufnahme gelungener Porträts und Wolkenformationen machen manche Landschaftsaufnahme erst richtig interessant. Daher empfiehlt sich für manche Fototour sogar eher die Off-Season als die Hauptsaison.
Diese Serie, aufgenommen in Beijing und Hangzhou, ist inspiriert von chinesischer Kalligraphie und Dichtkunst – sehr reduziert, sehr feingliedrig.
Auch Ihre Ausrüstung kann wichtig werden: Manche Themen bedürfen besonderen Equipments, etwa Makroobjektive, sehr lichtempfindliche Objektive oder Stative – hier müssen Sie nicht nur eventuelle Anschaffungen einkalkulieren, sondern auch das genaue Einsatzfeld beachten: Ein Stativ inmitten eines geschäftigen südländischen Marktes kann zum Problem werden. Wäre es generell nicht am besten, immer möglichst viel Equipment dabei zu haben? Natürlich schöpft man gerne aus dem Vollen, andererseits bringt die Reise aber auch besondere Risiken für die Ausrüstung mit, von Staub und Spritzwasser bis hin zu Diebstahl. Sicher möchten Sie auch nicht immer alles an Equipment mit sich schleppen. Im Flugzeug kann ein zu schwerer Kamerarucksack dazu führen, dass Sie ihn als Hauptgepäck aufgeben müssen, was weitere Kosten und Risiken mit sich bringt.
Überlegen Sie auch, was zu Ihrer Persönlichkeit passt: Vielleicht faszinieren Sie Porträts, – sollten Sie aber ein eher introvertierter Mensch sein, fällt es Ihnen schwer, andere anzusprechen und zu fragen, ob man fotografieren darf. Natürlich können Sie die Reise als Herausforderung annehmen, aber Sie sollten sich dann von vorne herein darüber im Klaren sein und vielleicht ein „Ersatzthema“ an Bord haben.
Bedürfnisse von Mitreisenden spielen ebenfalls eine Rolle: Wenn Sie schwer erreichbare, für weniger fotoaffine Mitreisende unspektakuläre Spots einplanen, führt das unweigerlich zu Frust im Urlaub. Hier wäre ein Thema von Vorteil, das auch die anderen interessant finden oder das sich gut „im Vorbeigehen“ einfangen lässt. Klare Absprachen im Vorhinein à la „Zwei Nachmittage möchte ich fotografieren“ entspannen die Lage. Sollten Sie mit einer geführten Reisegruppe unterwegs sein, fällt deren Berücksichtigung ebenfalls ins Gewicht – Sie werden den Bus ständig verpassen, wenn sich Ihr Thema nicht einigermaßen mit dem Reiseprogramm vereinbaren lässt.
„Gut fotografierbar“ betrifft auch die Visualisierbarkeit. Hier kommt es darauf an, wieviel Herausforderung Sie möchten: Wählen Sie ein sehr abstraktes Thema wie etwa „Fernweh“, werden Ihnen eventuell nicht sofort klare Motive in den Kopf kommen. Je nach Charakter kann Sie das beflügeln oder eben auch einschränken. Ganz anders funktioniert da ein einfach visualisierbares Thema wie „Haustüren“. Hier wissen Sie, was vor die Kamera gehört. Der ein oder andere Fotograf wird sich damit aber auch rasch langweilen.
Ein weiterer Aspekt: Wie tief können und wollen Sie sich in ein Thema einarbeiten? Manch ein komplexes kulturelles Thema bedarf sehr viel mehr Vorarbeit, als wenn Sie sich zum Beispiel ein Thema auswählen, das rein auf ästhetischen Aspekten wie Farben und Linien beruht. Natürlich kann man auch erst losfotografieren und dann recherchieren – das kann aber bedeuten, dass Sie besonders wichtige Momente oder Ansichten verpassen werden und beim Betrachten Ihrer Serie Fragezeichen entstehen. Sorgfältige Recherche braucht oft übrigens nicht nur Zeit zum Surfen, sondern auch die richtigen Buchempfehlungen, interkulturelle Treffen und vieles mehr. Bedenken Sie, dass gerade im kulturellen Bereich Menschen selbst zu augenscheinlich einfachen Themen jahrelang geforscht und tiefgründige Dissertationen verfasst haben. Einer meiner Studenten hat zum Beispiel über die Rolle der Kokosnuss in der hinduistischen Kultur eine längere Abhandlung verfasst, ein anderer über das Geschirr in japanischen Teezeremonien. Natürlich gibt es Grenzen der Einarbeitung, aber Sie sollten versuchen, Ihren Gegenstand vor der Reise schon bestmöglich recherchiert zu haben, damit die Serie nicht oberflächlich bleibt.
Last but not least – wie möchten Sie Ihre Bilder präsentieren? Werden Sie etwas dazu erklären, zum Beispiel wenn Sie Freunde zu einem Dia- oder Beamer-Abend einladen, werden Sie in den sozialen Medien kleine Begleittexte schreiben, oder sollen die Bilder auch ganz ohne Worte wirken? Manche Serien gewinnen stark durch begleitende Erklärungen, bei anderen reichen gut gewählte Bildtitel und wieder andere erklären sich weitgehend selbst.
Ihr Reisethema – Auswahlhilfe
- Zugangsbedingungen
- Jahreszeit-/Wetterabhängigkeit
- Ausrüstungsabhängigkeit
- eigene Persönlichkeit
- Bedürfnisse von Mitreisenden
- Visualisierbarkeit
- Zeit und Möglichkeit zur Recherche
- Präsentationsrahmen
Warum eigentlich?
Nun ist die Frage noch gar nicht geklärt, warum Sie auf Reisen Ihr Thema identifizieren und dazu eine Serie fotografieren sollten. Es gibt viele Antworten: Sie werden auf diese Weise zu interessanteren und einzigartigeren Bildern gelangen als ohne Themenstellung. Sie schärfen Ihren Blick und werden sicher kreativer als beim einfachen Drauflosfotografieren. Besonders diejenigen, die schon eine Weile fotografieren, werden sich weniger langweilen und mehr lernen, als ohne eigenes Thema. Ein weiterer Faktor: Wenn Sie die Bilder präsentieren wollen, eignen sich Serien besser. In einer Zeit, in der jeder Rezipient schon zahlreiche Filme und Diaabende nach dem Motto „Eine Reise nach XY“ gesehen hat, lockt so ein allgemeines Thema niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Spezifischeres ist spannender, auch, wenn es um Ausstellungen, Fotobücher oder Veröffentlichungen geht.
Und abgesehen davon: Ihr Thema hindert Sie ja nicht daran, auch andere Fotos aufzunehmen.
- „Bayrische Kapellen“, immer aus derselben Perspektive. ! Erkundigen Sie sich nach den Öffnungszeiten
- „Friesische Haustüren“, stets frontal ! Achten Sie auf gleichbleibendes, am besten flaches Licht
- „Kinderspielplätze aus aller Welt“, als Dauerthema für mehrere Reisen ! Besonders geeignet, wenn Sie mit Kindern reisen
- „Religiöses Leben im Alltag“ – in Tempeln, Kirchen, an kleinen Altären etc.
- „Neue Ansichten von XY“ – ein bekannter Ort oder eine berühmte Sehenswürdigkeit einmal anders präsentiert
- „Auf den Spuren von XY“ – suchen Sie eine berühmte Persönlichkeit oder eine Roman-/Filmfigur aus, die in Ihre Reiseregion gefahren ist und folgen Sie ihr
- „Mein Teddy auf Reisen“ – fotografieren Sie ihn an ganz verschiedenen Orten
- „Straßenverkehr in XY“ – hier haben Sie beste Zugangsbedingungen und vor allem in südlichen Ländern spannende Motive ! In U-Bahnen ist Fotografie bisweilen verboten
Vielleicht illustriert es ein Beispiel am besten:
Für meine letzte Fotoreise spielte die Zugänglichkeit des Themas eine große Rolle: Ich war in erster Linie als Foto-Reiseleiterin unterwegs und konnte folglich kein Thema gebrauchen, dass viel zeitliche Flexibilität erfordert. Etwas, das einem oft im Alltag begegnet, ohne lange suchen zu müssen. Aber auch etwas inhaltlich Gehaltvolles.
Eine inhaltliche Botschaft, die ich zu vermitteln reizvoll finde, besteht darin, dass in weiten Teilen Indiens viele Menschen mit unterschiedlichen religiösen Hintergründen recht friedlich zusammenleben, dass es vereinende Elemente gibt. Ein solches Element, über das man auch im Alltag ständig „stolpert“, sind Blumen. Blumen waren auch eine meiner ersten Erfahrungen in Indien, als ich damals mit 17 erstmalig ein paar Wochen für Sozialpraktika dort verbrachte: In meiner ersten Station, einer Schule für Straßenkinder, hängte man mir zur Begrüßung eine dicke Girlande aus orangen Blumen, verwoben mit weißen Jasminblüten, um den Hals. Da stand ich nun, mit dicker Girlande mitten im Slum und fühlte mich seltsam und ein wenig beschämt: Das Geld für die Girlande hätten sie doch anders ausgeben können… Bald merkte ich, dass Blumen ein integraler Bestandteil des Alltags sind und viele Bedeutungen tragen. Ein paar Beispiele: Jasmin, eine der häufigsten Blumen auf indischen Blumenmärkten, wird als Haarschmuck, aber auch zur Ehre der Götter verwendet, um Statuen von Politikern zu bekränzen oder zur Dekoration von Eingängen. Jasmin wird wegen seiner schlichten Eleganz geschätzt. Die orange Blume ist Marigold, ihr Duft soll Insekten fernhalten und ihr werden auch medizinische Qualitäten zugesprochen. Roter Hibiskus steht für die starke Göttin Kali, die Göttin des Reichtums, Lakshmi, wird meist auf einer rosa Lotusblüte sitzend dargestellt, die Göttin der Weisheit, Saraswati hingegen sitzt auf einer weißen. Auch unter Christen und Muslimen sind Blumen populär. Christen schmücken Jesus- und Marien-Statuen mit Jasmin wie Hindus ihre Götter und Muslime würdigen Blumen in den abstrakten Musterdekorationen für ihre Schönheit und für die Heilungskräfte mancher Pflanzen.
So zog ich also los und nahm Blumenbilder auf, von Marktleuten, die am Straßenrand sitzen und ihre Ware verkaufen, wie auch in großen Markthallen, wo in einem Bereich Blumen sortiert und aufgefädelt werden, in einem anderen Bereich zum Verkauf präsentiert. Hier boten sich ganz verschiedene Bildausschnitte mit unterschiedlicher Atmosphäre und Informationsgehalt an. Ein netter Nebeneffekt: Fast überall wurden mir von den Marktleuten Blumen geschenkt. Auch ins Gespräch kam ich schnell. „Ein schöner Job“, sagte ein Blumenhändler, „Ist es nicht besser, Blumen zu sortieren und aufzufädeln, als irgendetwas anderes?“ Recht hat er, dachte ich und war gleichzeitig mal wieder besonders glücklich über meinen eigenen Job.
Dieser Artikel stammt aus der Ausgabe 06/2017.
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Ausgabe 07-08/2017
SPECIAL SOMMERPROJEKTE: Wir haben 6 inspirierende Aufgaben für Sie
Wir geben Ihnen über die Urlaubszeit etwas Schönes zu tun. Fotografieren Sie nach unseren Anregungen und trauen Sie sich mal an ganz neue Herausforderungen heran. Sechs abwechslungsreiche Projekte warten auf Sie: Ob Sie im Urlaub sind und traumhafte Küstenlandschaften wie Dirk Wiemer fotografieren, sich unter Zeitdruck kreativ zeigen möchten beim 1-Stunden-Shooting oder wagemutig das nächste Sommergewitter mit den Expertentipps von Bastian Werner und seinem Buch „Fotografieren bei Wind und Wetter“ anpeilen – mit unserem großen Special gelingen Ihnen Bilder, die Sie mit Sicherheit so vorher noch nicht in Angriff genommen haben. Wir wünschen Ihnen ganz viel Spaß damit – aber vergessen Sie auch nicht, bei schönem Wetter einfach mal die Füße hochzulegen, ja, auch ohne Kamera. Zur Ausgabe
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