von Anne Lindner, Alena Schmidt

© Fotos Anne Lindner

Schon sehr lange war es der Traum von Anne Lindner, einmal einer Fuchsfamilie in freier Wildbahn bei der Aufzucht ihrer Welpen zuschauen zu können. 2020 ging dieser Traum endlich in Erfüllung. Sie konnte neun Welpen beim Aufwachsen begleiten und erlebte drei unvergessliche Monate mit ihnen.

Der wichtigste Bestandteil eines Fotoprojekts, bei dem Tiere fotografiert werden sollen, ist die Vorarbeit. Um überhaupt eine Fuchsfamilie und deren Bau ausfindig zu machen, sollte man wissen, wonach man zu welcher Zeit wo suchen muss. Ich hatte während des Winters mehrere Bauten entdeckt, die ich regelmäßig beobachtete. Am Ende war es dann der Zufall, der mir zeigte, dass in einem kleinen Bau mitten auf dem Feld eine Fuchsfamilie wohnte. An diesem Tag wartete ich abends an einer anderen Stelle am Feldrand. Als es fast dunkel war, machte ich mich auf den Weg zurück zum Auto und schaute aus Gewohnheit noch einmal von oben über die Felder. Ich traute meinen Augen kaum, als ich eine Fähe sah, die ihre Welpen säugte.

Ich wollte die Familie keinesfalls zu sehr stören. Daher versuchte ich, meine ersten Bilder per Fernsteuerung meiner Canon 7D Mark II zu machen. Ich stellte die Kamera mit Stativ auf das Feld und wartete am angrenzenden Wald darauf, dass sich die Welpen wieder zeigten. Es dauerte nicht lange und sie kamen einer nach dem anderen aus dem Bau. Leider erkannte ich auf dem Tablet nur sehr wenig und auch die Kamera stand zu weit weg, sodass ich keine gute Bilder machen konnte. Daher beobachtete ich die kleine Fuchsfamilie vorerst nur und hoffte auf die ersten größeren Ausflüge.

Insgesamt neun Welpen hatte die Fähe zur Welt gebracht. Das ist sehr viel für einen Fuchswurf. In der Literatur findet man dafür meist intensive Bejagung als Ursache. Da der Wurfbau bald zu klein wurde für die große Familie, zog die Fähe mit ihren Welpen zunächst in einen Ausweichbau direkt an einer befahrenen Straße. Es war auch wieder Glück, dass ich sie hier

wiedergefunden habe: Auf meinem Heimweg entdeckte ich die Welpen als es schon dunkel war mitten auf der Straße im Scheinwerferlicht meines Autos. An einem der folgenden Abende legte ich mich in meiner Tarnkleidung und entgegen der Windrichtung in den Straßengraben gegenüber, der circa 15 Meter vom Bau entfernt war. An diesem Tag bekam ich die ersten Welpenbilder. Diese und alle folgenden Fotos nahm ich mit der 7D Mark II und dem EF 600mm f4L IS II USM auf.

Bei den Welpen gibt es immer einen, der neugieriger und mutiger ist als seine Geschwister und der als erster aus dem Bau kommt. Das war auch diesmal so. Leider fehlte ihm links am Hals der größte Teil seiner Haut . Da ich ihn sofort ins Herz geschlossen hatte, warf ich ein besonderes Auge auf ihn. Das war ganz einfach. Denn ein weiteres Wiedererkennungsmerkmal war sein rechtes Ohr, das leicht abgeknickt ist. Ich nannte ihn daher immer “Knickohr”.

Wenn jemand denkt, er sei schlauer als der Fuchs, dann hat er sich getäuscht. Sehr oft habe ich gehört, dass die Welpen aus dem Bau kommen sollen, wenn die Mutter auf die Jagd geht. In der Realität sieht das jedoch oft ganz anders aus. Ein Ton oder eine Geste der Mutter, bevor sie auf Jagd geht und man sieht während ihrer Abwesenheit keinen einzigen Welpen. Ich jedoch freute mich zunächst, als die Fähe zum Jagen aufbrach und mich scheinbar nicht bemerkt hatte. Kurze Zeit später nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, wie mich etwas von der Seite beobachtete. Nur wenige Meter neben mir saß sie und ließ mich nicht aus den Augen. Irgendwann stand sie auf, kam zu mir und beschnupperte mich. Ich rührte mich keinen Zentimeter und hielt den Atem an. Nur Sekunden später ging sie auf Jagd – und ein Welpe nach dem anderen krabbelte aus dem Bau heraus. Seit diesem Tag schien mich die Fähe akzeptiert zu haben und ich durfte noch weitere zwei Monate lang ihre Welpen regelmäßig beobachten.

Leider blieb der Bau nicht lange unentdeckt und so sah ich immer wieder parkende Autos direkt daneben. Eine Familie holte sogar die Klappstühle heraus. Es ist verboten, Tieren am Bau nachzustellen oder deren Ruhe zu stören. Geschieht dies, folgt meist schon bald der Umzug – nicht wegen des zu klein gewordenen Baus, sondern wegen der offensichtlichen Störung durch den Menschen. So war es auch bei „meiner“ Fuchsfamilie. Schon bald zog sie ein weiteres Mal um. Ein Umzug ist für die Tiere immer mit sehr viel Stress verbunden. An dem neuen Bau blieb „meine“ Fuchsfamilie bis zum Erwachsenwerden der Welpen. Alle paar Tage gegen Abend ging ich zu diesem Bau und legte mich in Tarnkleidung an einen kleinen Hang, von dem aus ich einen wunderschönen Blick auf den Fuchsbau hatte. Hier war ich – je nachdem, welchen Ausgang die Welpen nahmen – zwischen 15 und 30 Meter von ihnen entfernt. Ich verbrachte sehr viele schöne Stunden mit ihnen am Bau und beobachtete, wie liebevoll Tiere untereinander sein können.

Am größten war die Freude, wenn die Mutter von der Jagd zurückkam. Sah man vorher nur einen Teil der Welpen, kamen sie spätestens mit der Rückkehr der Fähe von allen Seiten herbeigesprungen. Oft rief sie sogar ihre Welpen und kündete ihre Rückkehr an.. So ausgelassen wie auf den Fotos spielten die Welpen nur in Anwesenheit der Mutter. Ab und an kam es vor, dass sie sich zu ihnen legte, sie putzte oder mit ihnen spielte. Manchmal saß sie aber auch einfach nur da und wollte anscheinend ihre Ruhe haben.

Junge Fuchswelpen haben anfangs sehr wenig Angst vor Menschen und können Gefahren schlecht einschätzen. Leider wird dies oft falsch gedeutet, da es den Anschein erweckt, dass man sie anfassen könne oder es ihnen nichts ausmache, wenn man auf ihrem Bau herumtrampelt. Doch auch dies zählt als Straftat – und stört die Fuchsfamilie enorm. Verboten ist es außerdem, mit Handys oder Taschenlampen in die Löcher des Baus zu leuchten, um nachzuschauen, ob dort ein Welpe sitzt. Ich schreibe dies, weil ich die skurrilsten Verhaltensweisen an diesem Bau gesehen habe, während ich als stille Beobachterin dalag. Es kam sogar vor, dass die Mutter an mir vorbeirannte und schaulustige Passanten anknurrte.

Eines Abends sah ich, dass die Fähe hinkend zum Bau zurückkam. Ihr fiel es sichtlich schwer, mit dem linken Hinterbein aufzutreten. Erstaunlicherweise brachte sie trotzdem fast halbstündlich ein ganzes Maul voll Mäuse für den hungrigen Nachwuchs. Dies war auch das erste und letzte Mal, dass ich einen Rüden am Bau sah. Ob es der Vater war und er die Welpen mit versorgen wollte oder einfach nur ein herbeigelaufener anderer Fuchs, kann ich nicht sagen. Ich sah ihn tatsächlich nie wieder.

In den letzten Tagen bekam ich die Welpen immer weniger zu Gesicht. Ihre Ausflugstouren wurden immer größer und die Zeiten, die sie am Bau verbrachten, immer kürzer. Ich kann mich noch sehr gut an die letzten Stunden mit den Welpen erinnern. Die Sonne war schon untergegangen und ich lag wie immer an meiner Stelle. An diesem Abend sah ich zunächst nur einen Welpen, der vor dem Bau schlief. Als ich schon fast nichts mehr erkennen konnte, kamen noch weitere drei Welpen über die Felder herbei. Alle vier legten sich nur drei Meter neben mich und warteten auf ihre Mutter. Irgendwann kam sie und gemeinsam brachen sie auf zur Jagd. Dies war der letzte Abend, den ich so intensiv mit den Welpen verbringen konnte. Einen schöneren “Abschied” hätte ich mir nicht wünschen können. Noch immer sehe ich ab und zu einen Fuchs, der leicht humpelnd über die Felder zieht und gerne ein Sonnenbad nimmt. Jedes Mal aufs Neue muss ich lächeln und bin froh, sie wiedergesehen zu haben. Schon jetzt freue ich mich auf 2021 und auf hoffentlich viele neue Abenteuer.