Yannick Lange, Reise- und Landschaftsfotograf, machte sich auf den Weg, den Jbel Toubkal, den höchsten Gipfel Nordafrikas, zu überqueren und auch ein paar Städte Marokkos zu entdecken.
von Alena Schmidt © Fotos Yannick Lange
Lieber Yannick, erzähl uns zuerst ganz allgemein davon, wie du zur Fotografie beziehungsweise zur Reisefotografie gekommen bist.
Interesse an der Fotografie hatte ich tatsächlich schon während meiner Kindheit, auch weil in dieser Zeit mein Vater mit dem Fotografieren begann. Selbst zur Kamera griff ich allerdings erst Jahre später, in der Oberstufe, während eines Schulausflugs nach London. Ich wollte unbedingt das Großstadtleben und unseren Trip in diese, für mich als Kleinstadtmensch, riesige Metropole festhalten. Dies war schließlich der Startschuss für mich. Seitdem hat mich die Fotografie nicht mehr losgelassen. Heute widme ich ihr den Großteil meiner Freizeit.
Und wie kamst du auf die Idee, den Hohen Atlas zu überqueren und auf den höchsten Gipfel Nordafrikas zu wandern?
Neben der Fotografie ist das Wandern beziehungsweise das Bergsteigen eine große Leidenschaft von mir. Im Internet fand ich damals einen Bericht über eine Tour auf den Jbel Toubkal, den höchsten Gipfel Nordafrikas, der die magische 4.000er-Grenze klar übertrifft. Ich wusste sofort: Das will ich auch machen! Dazu kommt der Reiz des Hohen Atlas, der sich in vielen Belangen von den europäischen Gebirgen unterscheidet, vor allem landschaftlich und kulturell. Auf der Website eines lokalen Tourenanbieters stieß ich zusätzlich auf das Angebot einer Gebirgsüberquerung. Eine Idee, die mich ebenfalls sofort packte, da man während einer solchen Tour intensiv den mit der Höhenveränderung einhergehenden Wandel der Landschaft und des Lebensraumes erleben kann: von den tiefer gelegenen Bergketten bis hin zu den lebensfeindlichen Hochgebirgsbereichen. Leider hatte der Anbieter keine Kombi-Tour aus Gebirgsüberquerung und Besteigung des Toubkals im Angebot. So fragte ich an, ob dies grundsätzlich möglich sei – und bekam die Kombination: eine Nord-Süd-Überquerung auf einer wenig begangenen Route durch abgelegene Berberdörfer mit Abstecher auf den höchsten Gipfel des Gebirges.
Erzähl uns bitte von deinem prägendsten Erlebnis während der Wanderung.
Ganz klar: die Berberdörfer entlang unseres Weges. Gerade weil wir eine Route nahmen, die nicht sonderlich vom Tourismus geprägt ist – teilweise sind die Ortschaften nicht einmal auf Karten verzeichnet –, hatten wir die Chance, das ursprüngliche Marokko zu erleben. Zwar gab es zu allen Dörfern eine Schotterstraße, ein Auto hatte dort aber niemand. Die etwas wohlhabenderen Bewohner besaßen ein Maultier. Als wir an einem Tag nachmittags an unserer Herberge ankamen, spielten davor mehrere Kinder mit einfachen Plastiktüten. Als wir abends erneut eine Runde durch den Ort drehten, waren sie tatsächlich immer noch mit diesen Tüten beschäftigt. Diesen Lebensstil selbst zu sehen, erdet ungemein und lässt unsere Sorgen hier als absolute Luxusprobleme erscheinen.
Du hattest auf deiner Wanderung einen berberstämmischen Bergführer, der dir einiges über die Kultur vor Ort erzählt hat. Was hast du dabei gelernt?
Grundsätzlich wäre auf dieser Tour kein Bergführer nötig gewesen. Mit entsprechender Vorbereitung hätte die Routenfindung selbst kein Problem dargestellt, und auch die Besteigung des Toubkals ist, bis auf die nicht zu unterschätzende Höhe, kein größeres Problem. Jedoch war der Bergführer der Kontakt zur Bevölkerung und konnte viel zum Leben in den Dörfern, aus denen er ja selbst kam, erzählen. Gerade hinsichtlich Lebensbedingungen und Alltag konnte er sehr viel vermitteln, was wir ohne ihn niemals erfahren hätten. Besonders beeindruckend fand ich die Tatsache, dass in der Schule drei verschiedene Schriftsysteme unterrichtet werden: Arabisch, Lateinisch sowie die Berberschrift Tifinagh. Wie viele letztlich alle drei Schriften beherrschen, steht auf einem anderen Blatt, denn die Analphabetenrate, vor allem im ländlichen Raum, ist hoch.
Und du sagtest, ihr habt euch auch sonst gut verstanden.
Ja, richtig! Unsere Begleiter konnten sich den Namen meiner Freundin nicht merken, also bekam sie kurzerhand gleich zu Beginn von ihnen den Namen „Fatima“. Ihren richtigen Namen hörte sie anschließend während des gesamten Trips nicht mehr – auch nicht von mir. Allgemein hatten wir mit unseren Begleitern während der Gebirgsüberquerung eine super Zeit. Ich hatte Skatkarten dabei und brachte ihnen ein Kartenspiel bei, das wir fast jeden Abend zusammen spielten. Und zwar bei Kerzenschein, denn elektrisches Licht war in unseren Unterkünften oder im Zelt meistens nicht vorhanden.
Wie hast du dich eigentlich auf die Wanderung vorbereitet?
Zuerst habe ich grundsätzliche Do’s & Dont’s recherchiert, um vor Ort nicht in Fettnäpfchen zu treten. In Marokko beziehungsweise allgemein in arabischen Kulturen darf man beispielsweise Bargeld nur mit der rechten Hand übergeben. Die fotografische Vorbereitung bestand daraus, Reiseberichte zu lesen und die zugehörigen Bilder zu analysieren, um eine Idee davon zu bekommen, welche Elemente den typischen Marokko-Flair transportieren. So fällt die Motivsuche vor Ort leichter.
Die zweite Woche stand im Kontrast dazu, denn da ging es für dich durch mehrere Städte. Welche Städte waren das und welche hat dir am besten gefallen?
Einen wirklichen Favoriten zu nennen ist unmöglich, alle drei besuchten Städte sind von ihrer Art her komplett unterschiedlich. Nach unserer Tour über den Hohen Atlas verbrachten wir zuerst einen Tag in Taroudant, einer alten Oasenstadt zwischen Gebirge und Wüste, die nach Abbruch des Karawanenhandels deutlich an Bedeutung verlor. Anschließend ging es mehrere Tage nach Essaouira an der Atlantikküste. Eine recht junge Kleinstadt mit starkem französischem Einfluss, in der das Leben in scheinbar niedrigerer Geschwindigkeit abläuft. Als Kontrast dazu verbrachten wir zum Abschluss noch zwei Tage in der Millionenstadt Marrakesch. Hier gab’s schließlich den Orient aus dem Bilderbuch inklusive kompletter Reizüberflutung.
Wie haben sich Berge und Städte foto-technisch voneinander unterschieden?
Den Atlas empfand ich fotografisch als sehr herausfordernd. Durch das trockene Klima ist die Landschaft sehr karg und monoton braun, es gibt wenig Besiedlung, kaum Straßen, keine Flüsse. Hier führende Linien und Kontraste zu finden, die das Bild interessant machen, empfand ich als äußerst schwierig. Die Berberdörfer mit den bewässerten, grünen Hängen mal ausgenommen. In der Stadt ging es hingegen darum, die Kultur und den Alltag der Bevölkerung einzufangen. Hier musste ich erst die vielen verschiedenen Eindrücke sorgfältig filtern und eine Überladung der Bilder verhindern. Unterschiedlicher könnte es kaum sein.
Gab es sonst noch etwas, das dir während der Reise, fotografisch gesehen, schwer gefallen ist?
Mich selbst zu überwinden, Alltagsszenen und damit auch fremde Menschen zu fotografieren. Ich komme ursprünglich eher aus der Landschaftsfotografie, da versuche ich, Menschen auf Bildern weitestgehend zu vermeiden. Die Reisefotografie lebt von der Einbindung der Bevölkerung. Es hat ein, zwei Tage gedauert, bis ich dieses Konzept der Reisefotografie ohne größeres Nachdenken umsetzen konnte. Gerade dieses Zögern und Überlegen war zu Beginn ein großes Hindernis, denn häufig bleibt für bestimmte Szenen oder Kompositionen nur ein sehr kleines Zeitfenster.
Welche Fotos sind denn deine Lieblingsaufnahmen der Marokkoreise?
Zum einen ist es während unserer Wanderung die Aussicht von unserer Herberge hinunter ins Tal sowie der Blick durch ein Dorf hinauf zum Gebirgshauptkamm. Die Bilder sind nicht unbedingt aus fotografischen Gründen meine Favoriten. Vielmehr stehen sie für mich symbolisch für alle auf unserer Route durchquerten Berberdörfer und versetzen mich gedanklich zurück in den Hohen Atlas. Ansonsten natürlich die Bilder aus Marrakesch: Orient aus 1001 Nacht.
Welche Ausrüstung hattest du in Marokko dabei?
Unterwegs war ich mit meiner Canon 80D. Während unserer Bergtour verwendete ich hauptsächlich mein Sigma 10-20mm, um die Weite der Landschaft einzufangen. In der Stadt kam hauptsächlich mein altes Canon 18-55mm-Objektiv zum Einsatz, um einzelne Szenen und Elemente herausstellen zu können. Mein Rollei-Stativ verwendete ich nur für die Milchstraßenfotografie.
Was darf man auf keinen Fall vergessen, wenn man nach Marokko reist?
Wenn man im Sommer reist, sind im Inland Temperaturen knapp unter 40 Grad normal. Es bleibt einem nichts anderes übrig, als sich in einem Café bei einem typisch marokkanischen Minztee vor der Mittagshitze zu verstecken. Ein Buch, Karten oder sonstige portable Spiele sind daher ein super Zeitvertreib. Außerdem sollte man nicht vergessen: Gerade in den abgelegenen Gebirgsdörfern gibt es in den Herbergen oft keinen Strom oder Steckdosen. Daher empfiehlt es sich, im Vorfeld an genügend Ersatzakkus zu denken. Allgemein sollte man gerade auf mehrtägigen Touren durch den Atlas keinen Luxus erwarten und sich darauf vorbereiten. Wir verbrachten beispielsweise die Nächte meist in Herbergen, in denen handdicke „Matratzen“ in fensterlosen Räumen auf dem Boden lagen.
Dein Schlusswort?
Marokko ist ein unglaublich vielseitiges Land. Gerade kulturell findet man einen einzigartigen Mix aus berberischer und arabischer Kultur sowie zentralafrikanischen und europäischen Einflüssen. Und das alles quasi vor den Toren Europas, wenige Flugstunden von Deutschland entfernt – eine scheinbar andere Welt.
Yannick Lange
Als Landschaftsfotograf war Yannick es anfangs nicht gewohnt, Menschen in seine Bilder zu integrieren. Diese Blockade hat er auf seiner Reise nach wenigen Tagen erfolgreich überwunden und neben großartigen Landschaften und Stadtbildern auch die Bewohner Marokkos in seinen Aufnahmen festgehalten.
Instagram.com/yannicklange
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