Seit 2014 dokumentiert Tomas Wüthrich den Alltag und die Kultur der Penan, einer indigenen Gruppe von ursprünglich nomadischen Jägern und Sammlern. Außerdem untersucht er die Auswirkungen der Moderne und der illegalen Abholzung auf ihre Lebensweise. Uns hat er erzählt, wie er zu diesem spannenden Projekt gekommen ist und was es bei solch einer dokumentarischen Arbeit zu beachten gilt.
Von Alena Schmidt
© Fotos Tomas Wüthrich
Sie jagen Wildtiere mit Blasrohren, fischen und sammeln Früchte. Der Wald der Insel Borneo, einem Malaiischen Archipel in Südostasien, gibt den Penan alles, was sie zum Leben brauchen. „Der Regenwald ist unser Supermarkt“, sagt Peng Megut, der Häuptling von Long Tevenga, einer kleinen Penan-Siedlung inmitten eines intakten Regenwaldes. „Von ihm bekommen wir Wasser, Salz, Pfeilgift, Harz zum Feuermachen und Medizin. Wir lieben es, die Stimmen der Tiere zu hören. Es ist ein schönes Leben und mehr brauchen wir nicht. Wir kommen aus dem Wald und kehren nach dem Tod dorthin zurück.“
Existenzgrundlage Wald
Im Vergleich zu früheren Zeiten hat sich die Lebensweise der Penan stark verändert: Nach ihrer Missionierung gründeten sie erste Siedlungen. Seit 1970 fördert die Regierung die Abholzung des Waldes. Heute sind bereits über 90 Prozent des Regenwaldes in Sarawak, dem Malaiischen Teilstaat, gerodet. Der Verlust ihrer Existenzgrundlage zwang auchfast alle der noch traditionell lebenden 12.000 Penan zur Sesshaftigkeit und Landwirtschaft. Peng Megut, der am traditionellen Leben festhalten will, ist einer der wenigen, denen es gelungen ist, ihren Wald zu verteidigen, aber rings um das 126 Quadratkilometer große Gebiet ist der Wald bereits gerodet. Ohne Erlaubnis versuchen die Holzfäller immer wieder an den Barrikaden vorbei in das Gebiet einzudringen. Anders als der Häuptling, gibt es jedoch auch Mitglieder des Dorfes, die sich eine Straße wünschen und die an den Errungenschaften der Moderne sowie an Schulbildung teilhaben wollen. Dafür fehlt es den Penan aber oft an Geld, denn Flechtarbeiten oder Fleisch – die von ihnen verkauften Produkte – bringen nur wenig ein.
Eine glückliche Begegnung
Doch wie ist Tomas Wüthrich den Penan überhaupt begegnet? Der Schweizer traf Peng Megut zufällig, als er eine Reportage über ein Medizinprojekt des Bruno-Manser-Fonds fotografierte. Bruno Manser war übrigens ein Schweizer Ethnologe sowie Umwelt- und Menschenrechtsaktivist, der zusammen mit den Penan in den 1990ern mit Blockaden gegen die Zerstörung des angestammten Landes kämpfte. Damit machten sie weltweit Schlagzeilen. Als Tomas Wüthrich nun zum ersten Mal Peng Megut begegnete, da spürte der Fotograf etwas Besonderes, etwas, das schwer zu beschreiben ist: „Ich war begeistert von seiner Präsenz und er war erfreut über meine Idee, Fotos zu machen“, erklärt Tomas. Peng sagte zu ihm, dass der Häuptling im Wald sei und nicht wegkönne. Doch der Fotograf solle hinausgehen und den Menschen erzählen, wie die Penan leben und welche Sorgen sie wegen der Holzfäller haben. „Es hat sicher auch geholfen, dass meine Tochter dabei war. Auf jeder Reise gab es einen Übersetzer. Einen Penan, der in der Stadt lebt und etwas Englisch spricht“, sagt Wüthrich. Mittlerweile hat er die Sprache einigermaßen gelernt, kann vieles verstehen und nachfragen.
Tomas Wüthrich
Der Fotograf Tomas Wüthrich wurde 1972 in Bern geboren. Nach einer Lehre als Möbelschreiner und der Arbeit mit geistig beeinträchtigten Menschen machte er 1999 einen Lehrgang für Pressefotografie und arbeitet seit 2007 selbstständig als Fotograf in den Bereichen Reportage und Porträt.
Darf ich Fotos machen?
Neben Sprachkenntnissen gibt es auch eine Menge anderer Faktoren, die dazu beitragen, das Vertrauen fremder Menschen zu gewinnen und – sei es wie im Falle der Penan oder an jedem anderen Ort auf der Welt – es einem Fotografen ermöglichen, diese Menschen zu fotografieren. Laut Tomas Wüthrich ist es für eine umfassende Reportage wichtig, viel Zeit mitzubringen und nicht immer nur ans Fotografieren zu denken. Von Bedeutung war es bei den Penan besonders, dass Tomas, genau wie Bruno Manser damals, immer mit der Familie zusammen war und auch das gleiche wie sie gegessen hat. Außerdem ist der Fotograf mehrmals nach Malaysia zurückgekehrt und hat die zuvor gemachten Bilder mitgebracht. „Erst durch den wiederholten Besuch versteht man allmählich die Kultur“, erzählt Tomas Wüthrich. „Am Anfang haben sie mir beispielsweise gesagt, dass sie immer mit dem Blasrohr jagen. Dann biss ich bei meinem zweiten Aufenthalt auf ein Bleikügelchen im Fleisch und fragte, was das sei. Die Antwort war, dass wahrscheinlich ein Holzfäller dieses Reh angeschossen habe und es entwischt sei.“ Erst später bemerkte der Fotograf, dass Peng sehr wohl mit einem alten Gewehr jagte, wenn er Geld für Munition hatte. Nur wollte er ihm das anfangs nicht sagen, weil er Angst hatte, dass Tomas das Gewehr, für das Peng keine Lizenz hat, fotografiert.
Herzensprojekt
Nachdem er so viel Zeit mit den Penan verbracht hat, ist es kein Wunder, dass dieses Projekt Tomas Wüthrich sehr viel bedeutet. Für ihn sind Peng Megut und seine Familie zu Freunden geworden. „Ich habe viel von ihnen gelernt“, sagt er. „Ihre Offenheit und Gastfreundschaft sind beeindruckend. Ihre Art, im Moment zu leben und den Moment zu genießen, auch wenn ringsum die Holzfäller stehen, hat mich beeinflusst.“ Tomas‘ Ziel war es, zu zeigen, dass die Penan gar nicht so fremd oder exotisch sind und dass der Mythos des romantisierten „edlen Wilden“ erst recht nicht existiert. Auch die Penan sind auf Geld angewiesen und solange sie ihr Einkommen nicht aus einer Form der nachhaltigen Waldwirtschaft ziehen können, wird es weiterhin Dörfer geben, die einwilligen, den Wald zu roden. „Am Ende ist es doch so, dass wir in einer globalisierten Welt leben“, sagt Tomas. „Uns betrifft es, wenn in Borneo der Wald abgeholzt wird, schließlich hat das eine direkte Auswirkung auf die Klimaerwärmung. Umgekehrt hat unser Palmöl- und Holzkonsum Auswirkungen auf die Penan.“
Aufgrund seiner so positiven Erfahrungen mit den Einwohnern des Waldes wollte Tomas Wüthrich den Penan etwas zurückgeben und veröffentlichte 2019 sein Buch „Doomed Paradise“, in dem er einen seltenen Einblick in das Leben seiner Freunde bietet. Da das Buch aus feuchtigkeitsbeständigem Papier aus Kalkmehl produziert ist, bleibt es sogar im Regenwald von Borneo erhalten. Zudem sind die Texte nicht nur auf Deutsch und Englisch, sondern auch auf Penan geschrieben. Besonders schön ist auch der QR-Code auf dem Buchrücken: Er führt zu einer Tonaufnahme aus dem Regenwald und der Geschichte „Der Heckenkuckuck bemalt den Argusfasan“, erzählt von Peng Megut. //
Die Ausrüstung
- Sony Alpha 9
- Sony Alpha 7R III
- Sony FE 24-70mm F2.8 GM
- Sony FE 85mm F1.4 GM
- Sony FE 50mm F1.8
- Zeiss Batis 18 f2.8
- Sony FE 70-300mm F4.5-5.6 G OSS
Hinterlasse einen Kommentar