Als tätowiertes Bartmodell fällt Gunnar Felgentreu zwangsläufig auf. Doch so wie heute sah er nicht immer aus. Hinter seiner Transformation steckt ein persönlicher Schicksalsschlag …
von Benjamin Lemm © Fotos von Joachim Gelzinus, Maurice Berg, Katja Herrling, Oliver Petek, Frank Altmann, Kinga Wozniak
Eigentlich hatte Gunnar Felgentreu alles, was er immer wollte: ein Haus mit Garten, eine Ehefrau und zwei Kinder. Er ging regelmäßig zum Sport und betätigte sich ehrenamtlich in der Kirche. Ein Bilderbuchleben. Doch dann brach alles zusammen: Seine Frau entschloss sich plötzlich, die Familie zu verlassen. „Übrigens – ich ziehe aus“, sagte sie noch. Dann war sie weg. Für Gunnar ein schwerer Schicksalsschlag, der gleichzeitig den Startschuss für viele Veränderungen in seinem Leben darstellte. Nach seinem Ehe-Aus ließ der damals 58-Jährige sich einen Bart wachsen, ging ins Tattoo-Studio und erfüllte sich den Traum vom eigenen Motorrad. „Das hat schon immer in mir geschlummert. Ich würde nicht sagen, dass ich mich früher verbogen habe, aber durch die Trennung habe ich ein paar neue Seiten an mir entdeckt, die zuvor verborgen waren“, beschreibt er den Prozess.
Durch Zufall zum Bart-Modell
Seine Modell-Karriere verdankt er eher einem Zufall: Eines Tages saß er in Berlin im Restaurant schräg gegenüber von Casting-Direktor Rolf Schneider – bekannt aus Germany‘s Next Topmodell. Dieser war so fasziniert von seinem Bart, dass er ihn zum Fotoshooting einlud. Daraufhin kam eins zum andern. Gunnar lernte verschiedene Fotografen kennen, Agenturen kamen auf ihn zu und wollten ihn engagieren. „Meine Philosophie lautet: Die richtigen Dinge passieren zum richtigen Zeitpunkt. Ich habe die Erlebnisse damals einfach auf mich wirken lassen und die Chance ergriffen“, erklärt er. Seitdem ist Gunnar als Bart-Modell aktiv. Wichtig ist ihm dabei vor allem, authentisch zu sein, sich nicht verbiegen zu müssen. „Ich versuche einfach nur, ich zu sein. Und das ist eben oft anders, als die anderen sind. Ich mache das aber nicht, um zu beeindrucken oder zu gefallen – was die Leute von mir denken, ist mir echt scheißegal“, betont er.
Kreativ und vielseitig
Seine Bilder veröffentlicht er unter dem Künstlernamen Gunnar von Graubart. Die Motive sind dabei ebenso kreativ wie vielseitig. Mal schlüpft er in die Rolle eines edlen Herrn im Jahr 1880, dann wiederum ist er eine bärtige Version von Pennywise, dem Clown aus Stephen Kings Thriller „Es“. Die Ideen zu den Motiven stammen oft von ihm selbst oder entstehen in Wechselwirkung mit den Fotografen. Der Bart, die Tattoos und Gunnars auf den Fotos oft sehr ernster, durchdringender Blick – das Ergebnis wirkt immer sehr kraftvoll und durch und durch authentisch, obwohl die Bilder in vielerlei Hinsicht inszeniert und minuziös geplant sind. Wenn Gunnar eine Rolle gefällt, verkörpert er sie, ohne sich zu verstellen. Und wenn etwas mal nicht so funktioniert wie geplant, macht Gunnar aus der Not eine Tugend: „Wir haben mal ein Shooting in einem Hallenbad geplant, bei dem ich am Ende für ein Bild im Anzug vom Drei-Meter-Brett springen wollte. Als wir dann dort ankamen, mussten wir feststellen, dass kein Wasser mehr im Becken war. Im Endeffekt war das perfekt: Wer hat schon die Möglichkeit, in einem leeren Schwimmbecken zu shooten?!“, erinnert er sich an eines seiner Fotoshootings zurück.
Nicht anfassen!
Seine Geschichte hat Gunnar inzwischen auch in einem Buch veröffentlicht – unter dem Titel „Nicht anfassen!“ Wie es zu dem Titel kam? „Mir fassen immer wieder Leute ungefragt in den Bart. Das ist mir schon in der Kirche oder auf offener Straße passiert – eine wildfremde Person kommt auf mich zu und langt einfach in mein Gesicht“, beschreibt er. „Unglaublich, was manche Leute sich rausnehmen!“
Sein Buch, das er mit Hilfe einer Ghostwriterin verfasst hat, ist angereichert mit vielen seiner Bilder und beschreibt die Dinge, die ihm seit der Trennung von seiner Frau widerfahren sind. Mit seiner Geschichte möchte er andere Leute inspirieren, will zeigen, was möglich ist, wenn man zu sich steht und authentisch handelt. Seine Kernbotschaft: „Man muss sein Leben nach vorne leben und weitermachen. Lasst euch nicht von solchen Schicksalsschlägen unterkriegen – am Ende zählt nur, dass ihr ihr selbst seid“, betont er.
Gunnar Felgentreu
Gunnar von Graubart ist Bartträger aus Überzeugung, Berlin-Fan und Ü60-Model. Ihm ist kein Kleidungsstück zu auffällig und er lebt nach dem Motto: Was gefällt und guttut, wird gemacht! So entstand eines Tages auch dieses Buch.
Instagram: gunnar.von.graubart
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