Rostiges Metall, Rohre, Turbinen – wir sind im Landschaftspark Duisburg, einer riesigen Industrieruine. Dazu das Kontrastprogramm: Tüll, Spitzenschuhe und junge Ballerinen, die über die Rohre balancieren.

von Jamari Lior

Die Location steht – aber wie komponiere ich jetzt einen Menschen dazu?“ Diese Frage stellt sich immer wieder in der inszenierten Menschenfotografie. Zwei grundverschiedene Antworten können zu einem gelungenen Shooting verhelfen: Harmonie und Kontrast.

Harmonie

Harmonie bedeutet, Eigenschaften der Locations auf die der zu inszenierenden Person zu übertragen. Haben Sie einen alten, graffitibesprühten Bahnhof als Location, eignet sich eine ausgeflippte Person als Model – bunte Haare, Patches auf den Jeans, Fransenjacke.

Ist die Location ein opulentes, barockes Schloss mit originaler Einrichtung, würde ein Harmonie-Shooting ein Paar in möglichst stilechter barocker Kleidung und zeitgemäßen Frisuren, mit sanften Posen, ausgeleuchtet durch flächiges Licht in Szene setzen. Die Kleidung wäre am besten noch auf die Farben der Location abgestimmt und die Visagistik möglichst der Zeit entsprechend. Allerdings kann das auch leicht daneben gehen: Der Barockkenner merkt schnell, wenn ein Kostüm nicht ganz stilecht ist, und – noch schlimmer – falls es doch etwas billig gearbeitet ist, fällt dies auch dem ungeübten Auge rasch auf: Es ist nicht hochwertig und nicht harmonisch.

Gleichgewichtsübung für junge Ballerinen. Um dieses Bild aufzunehmen, kam ein Superweitwinkel zum Einsatz, da man sich nur gut einen Meter nach hinten bewegen konnte.

In einer Location wie dem Landschaftspark Duisburg ist es nicht leicht, ein Harmonie-Thema zu finden. Originale Stahlarbeiterkostüme würden wohl zu sehr nach einem dokumentarischen Shooting aussehen. Eine Möglichkeit für ein Harmonie-Shooting wäre die Steampunk-Thematik, die mangels einer tatsächlichen historischen Referenz auch mit Fantasie umgesetzt werden kann. Harmonie kann übrigens auch durch Formen und Farben erzielt werden, etwa ein Kostüm im selben Ton wie die verrosteten Metallplatten oder gar ein avantgardistisches Kostüm in Form eines Rohrs.

Kontrast

Kontrast klingt für viele Fotografen im ersten Moment einfacher als Harmonie. Wenn ich im Barockschloss nun einmal kein Barockkostüm habe – sind dann nicht auch Jeans plus T-Shirt ein schöner Kontrast? Leider ist es nicht so einfach: Kontrast funktioniert meist nicht so intuitiv wie Harmonie. In vielen Fällen sind Harmonie-Themen leicht abzuleiten, aber was könnte ein wirklich guter Kontrast sein? Ein Tipp: Jeans plus T-Shirt ist es in den seltensten Fällen. Alltagskleidung wirkt zu rasch wie ein ungeplantes, unorganisiertes Shooting oder erscheint gar wie ein beiläufiger Handyschnappschuss während einer Besichtigung. Im Barockschloss könnte ein avantgardistisches Kostüm in skurrilen, modernen Formen einen schönen Kontrast bieten. Wichtig ist dabei, dass auch ein Hauch Integration erzielt wird. In unserem Beispiel könnte dies in drei Aspekten liegen: Das avantgardistische Kostüm greift die Farben der Location wieder auf. Die Fotografierte lehnt sich an einen Gegendstand, sitzt auf einem barocken Stuhl oder Ähnlichem – nimmt also physischen Bezug auf die Location. Und ihre Pose harmoniert mit den Linien der Location. Integration kann also durch Farben, Linienführung und Bezug auf Elemente geschehen – mindestens einer dieser Faktoren sollte erfüllt sein.

Der Blick von oben – hier verbinden sich Tüll und Rohre zu einem Ensemble .

Im Landschaftspark Duisburg kam die Idee, junge Ballerinen in grazilen Posen mit dem harten, alten Stahl zu kombinieren. Ihre Posings sollten den Linien der Rohre folgen oder von ihnen gerahmt werden. Außerdem sollten sie, wo möglich, auch die Rohre in ihre grazilen Posings integrieren.

Besonderheit Ballett-Shooting

Ballerinen zu fotografieren ist toll – sie können sich wunderbar bewegen und kennen schöne Posings. Allerdings müssen diese der Location angepasst werden. Das bedeutet: Manch eine Pose wird weniger akkurat ausgeführt, manch ein Bein darf nicht so hoch, wie es eigentlich könnte, um Parallelen zu den Linien der Location zu bilden. Auch der typische „lange Hals“, der mit einem erhobenen Kinn einhergeht, muss meist korrigiert werden: Von einer niedrigen Perspektive sieht man sonst ein sehr dominantes Kinn.

Je mehr Personen auf einem Bild sind, desto mehr Posing-Aspekte ergeben sich zwangsläufig: Fotografieren Sie mehrere Tänzerinnen, erscheint die Anzahl oft noch dadurch gesteigert, dass Ballerinen die Beine zeigen und Sie diese nicht einfach wie mit einem langen Kleid kaschieren können. Auch die Arme werden meist weit vom Körper gestreckt. Es gilt also, viele Gliedmaßen auf einmal zu kontrollieren. Hier stellt eine Ballettlehrerin eine große Hilfe dar: In unserem Fall war Marina Djigauri von der Ballettschule Duisburg mit ihren Eleven an Bord und korrigierte die Posings der jungen Tänzerinnen.

Vom Schatten gemalt – dieses in Schwarz-Weiß, ganz auf die Formensprache konzentriert, entfaltet dieses Bild größere Wirkung.

Eine weitere Problematik war das Licht: Gerne hätten wir noch andere Spots ausgesucht. Strahlende Mittagssonne verhinderte dies aber. So blieben wir weitgehend in einem überdachten Teil, wo wir gerne ein wenig gerichteteres Licht verwendet hätten. Die Entscheidung fiel auf den Einsatz von Flächenleuchten von Kaiser Fototechnik, die auf mittlere Leistung eingestellt wurden. Ab und zu probierten wir auch, buntes Licht von hinten zu geben. Allerdings hätte das nicht bei den Einstellungen funktioniert, bei denen die Modelle eng an einer Wand samt Rohren posierten, sodass buntes Licht es nicht geschafft hätte, die Fotostrecke zu durchziehen.

Last not least: Der Schmutz auf den Rohren vertrug sich schlecht mit zartrosa Spitzenschuhen und weißen Strumpfhosen – nach dem Shooting war wohl eine Waschorgie angesagt und in der Bearbeitung ganz viel Stempeln und Ausbessern. Planen Sie ein Ballett-Shooting, klären Sie die Location-Besonderheiten vorher und weihen Sie die Ballerinen ein, ob es dreckig werden könnte – viele besitzen eine Zweitausrüstung, bei der es nicht so tragisch wäre, sollte sie verdrecken. Auch ein Lappen hätte wahre Wunder bewirken können – wie wir dann schmerzlich in der Bildbearbeitung merkten.

Ballett-Shootings – Kontrast und Harmonie

Welche Optionen gibt es sonst noch für ein Shooting, das die Kunst des Balletts inszeniert? Ein weiteres schönes Kontrastthema ist Natur und Ballet. Das wilde, Unzivilisierte trifft auf die Krone des Zivilisierten. Und dennoch wirkt Natur auch oft sehr elegant und bietet eine wunderschöne Bühne für eine Ballerina, wie schon viele klassische Ballettstücke wie Schwanensee zeigen.

Die Formen im Landschaftspark Duisburg bieten sich dazu an, in den Posen übernommen zu werden.

Ein schönes Harmonie-Thema ist die naheliegendste aller Optionen: die Ballerina in ihrem Tanzsaal. Die Übungssäle sind oft mit Parkett oder dunklem Tanzboden ausgestattet und breiten Spiegelfronten. Außerdem finden sich hier Ballettstangen. Weitere Vorteile des Shootings in der Ballettschule: Es gibt zahlreiche Kostüme, auch Ersatzmöglichkeiten, falls ein Kostüm nicht passt, reißt oder kaputtgeht. Der Boden ist ideal zum Tanzen, sodass auch schwierige Posings gelingen, und es gibt die Annehmlichkeiten einer Umkleidekabine und
Toilette.

Ganz gleich, wo Sie Ihre Ballerinen inszenieren möchten, im Idealfall treffen Sie sich schon vor dem Shooting mit ihnen und besprechen, was geplant ist. Nicht nur, weil ganz generell mit mehr Personen auch mehr kreative Ideen zusammenkommen, sondern auch, damit Sie selbst ein Gespür dafür entwickeln, welche Posen möglich sind und was besonders attraktiv und passend zu Ihren Bildideen wirken könnte.