Aus 3D wird 2D – dieser Prozess fasst die Funktionsweise der Fotografie prägnant zusammen. Und doch lohnt es sich auch, bewusst nach zweidimensionalen Fotomotiven zu suchen und ihre Strukturen zur Bildgestaltung zu verwenden.
Strukturen faszinieren uns oft, weil sie uns eine bestimmte Oberfläche vor Augen führen und damit eine haptische Komponente ins Bild bringen. Betrachten wir das Foto einer rissigen Betonwand, können wir sie oft nicht nur sehen, sondern zugleich gewissermaßen auch fühlen. Dabei ist so eine Wand ja eigentlich nichts Besonderes, im Alltag würden wir sie wahrscheinlich einfach übersehen. An dieser Stelle bietet die Fotografie wieder einen „rich point“, wird für unseren Alltag und unsere Psyche relevant: Sie schenkt uns „neue Augen“, mit denen wir eben auch solche Details wahrnehmen und würdigen. Wir sehen das Besondere im Alltäglichen, können es den Betrachtern unserer Fotos vermitteln und schaffen es vielleicht sogar, diese Fähigkeit auch dann zu behalten, wenn wir ohne Kamera unterwegs sind . Damit dies gelingt, sollten Sie die Augen vor allem nach folgenden Strukturen offenhalten:
Risse und Brüche
Eine Wand mit Rissen und Brüchen kann auf ganz unterschiedliche Weise ihre Ästhetik entfalten: Manche Cracks erinnern an zarte Linienführungen von Bleistiften oder Tuschepinseln. Es lassen sich abstrakte Kunstwerke erkennen, die die Zeit selbst, der Verfall gezeichnet hat. Derartige Werke kommen besonders gut auf ansonsten sehr flachen Strukturen zur Geltung, also etwa glatten Wänden.
Eine einfache Wand mit Riss – und doch wirkt es wie eine abstrakte Zeichnung.
Graffiti
Natürlich ist der eigentliche Graffitikünstler nicht derjenige, der einfach nur auf den Auslöser einer Kamera klickt, könnte man argumentieren. Aber gerade Graffitikunst wird außerhalb der Subkultur oft zu wenig gewürdigt. Für die Künstler, die häufig illegal sprayen, ist es nicht einfach, öffentliche Wertschätzung zu erfahren. Daher können Sie mit der Fotografie helfen, diese Form der Wandkunst groß zu machen. Dabei lohnt es sich zum Beispiel auch, die Veränderungen der Kunstwerke zu dokumentieren, etwa auf besonders beliebten Graffitiwänden. Halten Sie fest, wie Werke gesprayt, verändert und übersprayt werden oder verwittern. Ihre künstlerische Entscheidung ist vor allem das Format. Nehmen Sie das Gras unten an der Wand noch mit ins Bild? Soll der Treppenabsatz mit drauf oder der Himmel? Je nachdem ergeben sich ganz unterschiedliche Bildwirkungen.
Beim Fotografieren von Graffiti spielt der Bildschnitt eine wichtige Rolle: Welche Elemente nehmen Sie noch mit aufs Bild und wo schneiden Sie das Wandgemälde?
Baustelle
Baustellen, vor allem solche, die im Zusammenhang mit dem Abriss von Häusern stehen, bieten oftmals viele zauberhafte Strukturen. Sie zeugen von Nostalgie, von dem Unwiderbringlichen der Vergangenheit und erzählen oft Geschichten, wenn sich erahnen lässt, welches Zimmer wohl eine Küche mit Kacheln im Stil der 60er-Jahre war und welche Tapete eher für ein Kinderzimmer spricht. Wo lebt das Kind heute? Ist es erwachsen? Denkt es manchmal noch voller Nostalgie an sein altes Kinderzimmer?
Dieses Baugerüst ist natürlich dreidimensional, aber doch wirkt es vor dem einfarbigen Himmel seltsam flach.
Plakate
Überklebt, abgerissen, wieder überklebt – auch Plakatwände eignen sich hervorrgend für die Struktur-Fotografie. Hier geht es darum, seltsame, skurrile oder witzige Details zu entdecken, die sich durch das Reißen ergeben haben. Manchmal zeigen sogar die Seitenansichten tolle Motive, wenn man sieht, wie viele Schichten an Plakaten übereinander geklebt wurden.
Abgerissene Plakate ergeben spannende Strukturen. In diesem Bild sind die roten Akzente besonders interessant.
Stoffe
Auch bei Stoffen geht es um die haptische Qualität. Der Betrachter fühlt den weichen Samt oder die hauchdünne Seide, das schwere Leinen oder die zarte Spitze. Vielleicht können Sie den Stoff leicht raffen, sodass sich etwas mehr Dreidimensionalität ergibt. Dies ist vor allem bei glänzenden Stoffen ein schöner Effekt. Sie wirken auf diese Weise besonders hochwertig.
Auch von der Seite fotografiert sieht man hier eine interessante Struktur.
Papier
Alte Briefe auf vergilbten Papier in eleganter Handschrift beschrieben sind beliebte Fotomotive. Häufig dienen sie als Überlagerungsebene für Fotografien, die damit „auf Alt getrimmt“ werden sollen. Hierfür legt man die Strukturebene des alten Papiers über das Ausgangsbild und reguliert die Deckkraft. Mit einer Ebenenmaske und einem sehr weichen, großen Pinsel, Deckkraft um die 30 %, maskiert man diejenigen Bereiche vorsichtig wieder aus, die im Bild gut sichtbar sein sollen. Alternativ oder zusätzlich kann man die Strukturebene auch auf den Ebenenmodus „weiches Licht“ einstellen und dann mit einem weichen, großen Pinsel mittlerer Deckkraft in einem aus der Strukturebene ausgewählten Braunton über die Bereiche malen, die im Bild weniger strukturiert wirken sollen. Der Vorteil dieser Technik besteht darin, dass die Bereiche auch bräunlich oder vergilbt wirken und das Bild damit mehr „aus einem Guss“ erscheint.
Leicht vergilbtes Papier mit Text – eine Struktur mit Geschichte.
Holz
Holzmaserungen, wie auch die Rinde von Bäumen, ergeben sehr stimmungsvolle Motive. Dabei stellen auch die Spuren von Holzwürmern oder von anderem Getier durchaus ein Plus dar: Das Holz wirkt auf diese Weise im wahrsten Sinne des Wortes lebendiger und interessanter. Natürlich können Sie Ihr Holz auch noch mit Moos, Sand oder ähnlichem präparieren, um ihm noch mehr Struktur zu verleihen.
Holzstämme von der Seite wirken vor allem dann, wenn sie auf besondere Weise arrangiert sind.
Wasseroberfläche
Wiewohl sehr fluide, so ist doch auch die Wasseroberfläche eine tolle Struktur. Schon in einem Waschbecken oder in der Badewanne können Sie mit Schaum, Badeperlen oder Wasserfarbe abstrakte Kunstwerke erschaffen. Auch so manche Süßigkeit löst sich spektakulär in Wasser auf und ergibt tolle farbige Schlieren und Farbexplosionen.
Durch das Papier wird die Wasseroberfläche noch stärker strukturiert.
Aus der Luft
Zu guter letzt noch eine ganz andere Perspektive auf Strukturen: Aus der Sicht einer Drohne ergeben verschiedene Landschaften sehr spannende Bilder. Flüsse, Felsen und Felder, sogar Wälder von hoch oben wirken seltsam flach, wenn Sie es schaffen, exakt nach unten zu fotografieren.
Aus der Luft sieht man manchmal zauberhafte Strukturen – so zum Beispiel diese Straße.
Hinterlasse einen Kommentar